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Krieg fängt in der Familie an, von der Zerstörung intimer Bande: Bibiana Beglau und Bardo Böhlefeld.© Matthias Horn

"Die Hermannsschlacht" am Burgtheater: Blut lecken

Intendant Martin Kusej inszeniert Kleists Kriegspropagandastück. Die Brisanz bleibt zwischen den Zeilen.

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Die weitläufige Bühne des Burgtheaters ist nachtschwarz; ein einzelner Lichtkegel beleuchtet eine Gräueltat. Ein Frauenleichnam, gefoltert, erstochen, ausgeweidet wie ein Tier, liegt da, kunstvoll aufgebahrt wie nach einem Ritualmord; auf dem Kopf ein Hirschgeweih, auf den nackten, im Scheinwerferlicht gleißend weißen Körper sind seltsame Zeichen eingeritzt. Zwei Schauspieler, die sich auf Lateinisch unterhalten (und mit Übertiteln ins Deutsche übersetzt werden), können sich die Schreckenstat nicht erklären. Schlimm beginnt sie, "Die Hermannsschlacht" am Burgtheater, und es wird bis zum Ende, sagt eine der beiden Bühnenfiguren, "da bin ich sicher, noch Schlimmeres geschehen".

Nächste Szene, nächster Irrsinn: Bibiana Beglau als Thusnelda und Bardo Böhlefeld als römischer Feldherr Ventidius umarmen einander auf dem Körper eines toten Bären; ihre Körper sind blutverschmiert, sie lecken sich gegenseitig das Rot ab; Beglau hält das Herz des erlegten Tiers in Händen. Sie füttert damit den Geliebten.



Totale Zerstörung

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Seine Mission ist Hass: Hermann (Markus Scheumann) vorne, dahinter Bibiana Beglau als Thusnelda. - © Horn

Martin Kušejs Inszenierung bewegt sich von Beginn auf dem Feld des Extremen. Bereits in den ersten Minuten bietet er ein Feuerwerk an rätselhaften, eigentümlich sexuell aufgeladenen Bilderfindungen, die so bei Kleist nicht angelegt sind. Was mag noch alles kommen?

Kleists Drama hält einiges an grauenhaften Szenen parat: Eine weitere junge Frau wird geschändet und zerstückelt; Thusneldas Lover wird einem Bären zum Fraß vorgeworfen; das gesamte Römerheer wird in einen Hinterhalt gelockt und in einer mehrere Tage währenden Metzelei vollständig aufgerieben. Von Akt zu Akt steigern sich die Bösartigkeiten des titelgebenden Feldherren: Hermann entwirft ein immer aberwitzigeres Lügengespinst, um die Germanen für den Kampf gegen die römische Übermacht zu mobilisieren. Kleist entwirft reine Kriegspropaganda. Hält die Aufführung, die so bildmächtig beginnt, was sie verspricht?

"Die Hermannsschlacht" ist Martin Kušejs erste Neuinszenierung als Burgtheater-Intendant; bisher waren nur Wiederaufnahmen aus seiner Münchner Zeit zu sehen. "Die Hermannsschlacht", ausgerechnet! Das Stück zählt zu den problematischsten des Weltdramas.

Kleist verfasste es 1808, am Höhepunkt der napoleonischen Feldzüge. Keine deutsche Bühne wagte es seinerzeit zu spielen, da es als tagesaktuelles Stück im Befreiungskampf gegen die Franzosen verstanden wurde. Erst Ende des 19. Jahrhunderts konnte sich das Stück im Windschatten des aufkeimenden Nationalismus beim Publikum durchsetzen; während der NS-Herrschaft avancierte es schließlich zu einem der meistgespielten Dramen, die Bühnenfigur Hermann zum stramm-deutschen Nationalhelden stilisiert. Nach Kriegsende mutierte "Die Hermannsschlacht" zum ideologischen Schreckgespenst - bis mindestens ins Jahr 1982 hinein, als Claus Peymann in Bochum in dem Text eine Partisanenstrategie im Kolonialkampf entdeckte und Gert Voss Hermann als lässigen Stadtguerilla-Kämpfer verkörperte. Die Aufführung geriet zur Sensation und lief ab 1986 vor vollem Haus auch am Burgtheater. Kušejs Inszenierung ist die erste, in allem konträre Neuauflage von "Die Hermannsschlacht" seit Peymann.

Geradezu lehrstückhaft trägt Kuejs Regie den Krieg in die Familie hinein; man wohnt der Zerstörung intimer Bande bei, erlebt die systematische Funktionalisierung von Frauen und Kindern - nicht nur in den drastischen Anfangsszenen. Hermann schickt seine Kinder als Pfand, die von Bündnispartner Marbod (Rainer Galke) nicht gerade zimperlich behandelt werden. Die Römer mögen als Besatzungsmacht ihr Unwesen auf deutschem Gebiet getrieben haben, Hermann und die Seinen treiben es weitaus schlimmer. Sein Zerstörungsfeldzug ist allumfassend, die Mission Hass. Was für eine Gegenwartsdiagnose! Bedauerlicherweise bleibt die Brisanz aber zwischen den Zeilen stecken und findet nicht wirklich auf der Bühne statt.

Dystopische Vision

Mehr als drei Stunden lang zelebriert Kušej immer wieder behäbiges Aufsagetheater. Über weite Strecken werden das 25-köpfige Ensemble und die Statisten sinnfällig auf der Bühne arrangiert; szenische Spannung entsteht dabei selten. Markus Scheumann als Hermann kann sich in diesem Szenario nicht wirklich entfalten. Er stellt die Titelfigur als verkniffenen Machtmenschen dar; zunehmend hat man den Eindruck, dass er derart darum bemüht ist, die abgründige Heldenfigur zum Antihelden zu formen, dass leider wenig von der dunklen Faszination dieser Gestalt überbleibt.

Die Bühne hat Martin Zehetgruber mit grauen Tetrapoden vollgeräumt, die üblicherweise im Küstenschutz als Wellenbrecher Verwendung finden - die Kampfszenen auf und zwischen den Steinbergen wirken bisweilen gestellt, die szenischen Bilder auf den sperrigen Betonblocksteinen geraten elegisch, manches ist schlicht banal: Im Schlussbild marschieren die siegreichen Germanen als Burschenschafter in Couleur und mit Degen auf.

Dem Großunternehmen "Die Hermannsschlacht" geht mit fortschreitender Länge leider der Atem aus. Die Inszenierung wirkt, als wäre sie vor ihrer eigenen dystopischen Vision entsetzt, an deren Ende die Rechten unaufhaltsam zurückkehren.