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(Bild: Buntoon Rodseng / shutterstock.com)

Der große (Um-)Bruch: Autoindustrie hadert mit dem Wandel

Der Wandel zu E-Mobilität, Digitalisierung und Vernetzung macht der deutschen Autoindustrie schwer zu schaffen. Ein Überblick über die Problemzonen.

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Schöne neue Autowelt: Surrende E-Mobile schaffen mit Ökostrom Hunderte Kilometer, CO2-neutrale Sammeltaxis drängen den Individualverkehr in der City zurück, vernetzte Wagen warnen sich via 5G gegenseitig vor Stauenden und Unfallgefahren.

Noch mag dieses Szenario zu schön klingen, um wahr zu sein. Aber der Strukturbruch der deutschen Schlüsselbranche hin zu E-Modellen, Digitalisierung und automatisiertem Fahren ist in vollem Gange - und er hat nicht nur Gewinner und Befürworter. Gerade erst kündigte auch Audi einen Stellenabbau an. Auf viele weitere Beschäftigte bei Herstellern und Zulieferern dürften unruhige Zeiten zukommen.

E-Mobilität – endlich raus aus der Nische?

Ohne deutlich weniger Verbrenner und deutlich mehr Elektroautos kein wirksamer Klimaschutz - daran zweifelt kaum jemand mehr, zumindest wenn der Strom aus erneuerbaren Quellen stammt. Zuletzt zogen die Neuzulassungen reiner E-Fahrzeuge in Deutschland auch merklich an. Ihr Marktanteil bleibt aber einstweilen gering, bisher sind sie vielen Verbrauchern zu teuer und zu unpraktisch. Um das E-Auto massentauglich zu machen, beschloss die Regierung höhere und längere Kaufprämien. Bis Ende 2025 wird der "Umweltbonus" angeboten, die Industrie zahlt die Hälfte.

Peter Fuß, Autoexperte der Beratungsfirma EY, hält diese Förderung für entscheidend: "Wir sehen einen kräftigen, stabilen Aufwärtstrend bei E-Autos. Zahlreiche Modelle auch in niedrigeren Preisregionen werden Elektromobilität für neue Käufergruppen attraktiv machen." Aber geringere Anschaffungskosten sind nicht alles. Auch die oft noch geringe Reichweite spielt eine Rolle. Volkswagen etwa versucht, mit dem ID.3 gegenzusteuern. Das rein elektrische Modell ist relativ günstig und fährt mit vollem Akku einige Hundert Kilometer.

Problem Nummer drei: das dünne Ladenetz. In den kommenden zwei Jahren sollen 50.000 neue öffentliche Ladepunkte entstehen. Die Hersteller müssen davon 15.000 an ihren Standorten beisteuern - so will BMW mehr als 4100 Stück installieren, andere Anbieter haben Ähnliches vor. Damit das E-Auto wirklich alltagskompatibel wird und in Parkhäusern, Tiefgaragen sowie am Arbeitsplatz geladen werden kann, sind freilich viele Änderungen im Bau- und Mietrecht notwendig. Katherina Reiche vom Verband Kommunaler Unternehmen betont: "Viele Ladepunkte sind in Planung oder im Bau, jedoch brauchen wir mehr Geschwindigkeit."

Jobängste und Neustart – Schattenseiten des Umbruchs

Gewerkschaftern und Betriebsräten bereitet ein allzu rascher Umstieg auf die E-Mobilität Kopfzerbrechen. Elektroantriebe bestehen nur aus einem Bruchteil der Komponenten, aus denen Verbrennungsmotoren zusammengesetzt sind – es fällt weniger, dafür aber hoch spezialisierte Arbeit an. Eine Analyse des Center of Automotive Research (CAR) an der Universität Duisburg-Essen kam zu der Einschätzung, dass bis 2030 fast 234.000 Stellen bei Herstellern und Zulieferern in Deutschland wegfallen könnten. Gleichzeitig sollen nur 109.000 Jobs in Entwicklung und Produktion von E-Autos dazukommen.

Um die Mitarbeiter von der alten in die neue Welt mitzunehmen, legen viele Firmen Qualifikationsprogramme auf. Parallel landen Tausende Jobs der klassischen Verbrennerproduktion auf der Streichliste. Audi baut bis 2025 in Deutschland 9500 Stellen ab, im Gegenzug sollen nur 2000 Arbeitsplätze in Bereichen wie E-Mobilität und Digitalisierung neu entstehen. Betriebsbedingte Kündigungen soll es nicht geben. Bei Daimler wird ein Sparprogramm in den kommenden drei Jahren weltweit Tausende Arbeitsplätze kosten. Gestrichen werden mindestens 10.000 Stellen, es gehe um eine niedrige fünfstellige Zahl, hieß es. Vor allem werden frei werdende Positionen nicht nachbesetzt, es gibt Abfindungen – betriebsbedingte Kündigungen sind in Deutschland jedoch bis Ende 2029 ausgeschlossen.

Bosch kappt ebenfalls viele Stellen. Bei Continental protestieren Beschäftigte gegen das mögliche Aus für Kollegen, die den Wandel von Hydraulik zu Elektronik nicht mitmachen können oder wollen. IG Metall und IG BCE sind alarmiert. Bis 2023 könnten die Umstrukturierungen bei Conti 15.000 Arbeitsplätze betreffen, 5000 davon in Deutschland. Kündigungen sind als "allerletztes Mittel" nicht ausgeschlossen.

Es mehren sich Forderungen an die Bundespolitik, in dieser Lage das Kurzarbeitergeld für angeschlagene Betriebe zu verlängern. Die Gewerkschaft IG BCE macht Druck auf Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), der kein schlüssiges Konzept vorgelegt habe.

Insgesamt scheinen die Hersteller die Dringlichkeit der Umbaus erkannt zu haben, wollen sie nicht als "Auto-Dinos" für die Folgen des Klimawandels mitverantwortlich gemacht werden. Bei VW fließen bis 2024 rund 33 Milliarden Euro in die E-Mobilität. Ein eigenes Batteriezellwerk ist in Planung, die Konkurrenz kauft zunächst weiter zu – BMW etwa vom chinesischen CATL-Konzern. Die Bayern – mit dem i3 einst Pionier bei Elektrokleinwagen – halten sich die Entscheidung für eine dominante Antriebsform noch offen. Bis 2023 will BMW 25 E-Modelle im Programm haben, mehr als die Hälfte davon vollelektrisch. Daimler setzt auf die Elektro-Reihe EQ, vor allem mit dem SUV EQC und dem Minibus EQV.

Derweil macht sich Erzrivale Tesla ausgerechnet am Berliner Stadtrand breit: Im brandenburgischen Grünheide will Gründer Elon Musk eine "Gigafactory" mit bis zu 7000 Jobs bauen. Voraussichtlich von Ende 2021 an sollen der Kompakt-SUV Model Y, Batterien und Antriebe gefertigt werden. In Berlin selbst entsteht ein Ingenieur- und Designzentrum. Bedroht dies Arbeitsplätze bei den deutschen Platzhirschen? Die Chefs bemühen sich, die Kampfansage aus den USA als Ausdruck sportlichen Ehrgeizes zu interpretieren: Der Innovationsschub nutze allen. Bisher tat sich Tesla schwer, E-Autos in großen Stückzahlen zu produzieren.

Vernetzung – "Made in Germany" gegen US-Tech-Giganten

Auch bei diesem Megatrend sind die Amerikaner den Deutschen in mancherlei Hinsicht voraus. Digitalisierung heißt weitere Automatisierung der Fertigung in den Fabriken – besonders aber steigende Vernetzung von Funktionen im Auto selbst. Dieses wird zum rollenden Smartphone. Der neue VW Golf etwa ist ständig online, alle Instrumente sind digital, es gibt ein Infotainmentdisplay und Projektionen im Fahrer-Sichtfeld.

Aus eigener Kraft können die Hersteller all dies kaum stemmen. VW setzt auf Cloud-Dienste und schloss eine Partnerschaft mit Microsoft. Die Idee ist, künftig ganze Flotten zu steuern – samt Kundendienst, Inspektionen und Schnittstellen zu Services wie Lade- und Abrechnungs-Software für Elektroautos. Es geht um ein umfassendes Online-"Ökosystem". Auch andere Anbieter investieren hier viel.

Die Autos der Zukunft kommunizieren zudem untereinander ("car-to-car") sowie mit der Infrastruktur ("car-to-x") – das soll den Verkehrsfluss optimieren. Zulieferer wie Continental sind hier gut im Geschäft, doch die Konkurrenz aus den USA und China schläft nicht. Weitgehend offen ist noch, welche Datenschutz-Standards für die erwarteten riesigen Informationsmengen gelten sollen.

Autonomes Fahren – "Robo-Car" oder Entmündigung?

Eng mit der allgemeinen Vernetzung hängt die Entwicklung hochautomatisierter – und eines Tages ganz autonom fahrender – Autos zusammen. Allerdings hinken die Deutschen US-Firmen wie der Google-Schwester Waymo, die auch Robotaxi-Services testet, nach Einschätzung von Branchenexperten weit hinterher. Das führt zu Bündnissen unter Rivalen, die früher eher unrealistisch gewesen wären: Daimler und BMW kooperieren auf dem Weg zum "Robo-Car" ebenso wie Volkswagen und Ford, die Milliarden in die Firma Argo AI für selbstfahrende Autos stecken.

Daimler-Chef Ola Källenius sagte: "Statt individueller Insellösungen geht es uns um ein zuverlässiges Gesamtsystem." Aber auch hier stellt sich die Grundsatzfrage: Wollen hinreichend viele Kunden solche Systeme? Wollen sie am Ende die komplette Kontrolle an einen Roboter abgeben? Und: Fährt der Roboter wirklich sicherer? Die Debatten unter Autoversicherern und Ethikern, die das Dilemma von Entscheidungen bei Unfällen analysieren, haben gerade erst begonnen.

Neue Dienstleistungen – weg vom reinen Autobauen

Bei vielen jungen Leuten hat das Auto als Statussymbol ausgedient. Auch deshalb suchen die Hersteller ihr Heil in Geschäftsmodellen, die sie an der "sharing economy" mitverdienen lassen. In den Städten wollen mehr Kunden Fahrzeuge lieber mieten statt kaufen.

Carsharing war einer der ersten Versuche in dieser Richtung - mit bisher gemischter Bilanz. Daimler und BMW fanden mit ihren inzwischen zusammengelegten Angeboten Car2Go und DriveNow in den Zentren viele Nutzer - auf dem Land fristet das Teilen von Autos ein Nischendasein. VW stellte seine Erstvariante Quicar in Hannover wieder ein und versucht, mit seinem WeShare-Ansatz entschlossener ins Carsharing mit Elektroautos in Berlin zu gehen. Weitere Städte sollen folgen.

Andere Dienste sollen die Autobauer ebenfalls zu Mobilitätskonzernen umformen. Beim Ridesharing oder Ridepooling nutzen mehrere Kunden dasselbe Fahrzeug. Auch öffentliche Verkehrsunternehmen beteiligen sich daran - etwa beim Berlkönig der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) oder beim Clevershuttle der Deutschen Bahn. In Hamburg und Hannover ist der Sammeltaxi-Service Moia von Volkswagen unterwegs.

Und über alldem die trübere Konjunktur

Die Veränderungen treffen die Firmen in einer Zeit, in der es obendrein in der Weltwirtschaft nicht mehr so gut läuft. In vielen Ländern stockt das Wachstum, was auf die Verkäufe drückt - für die exportorientierte Branche ein Problem. Ende Oktober ermittelte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), dass etliche Betriebe eine tiefe Krise vorhersehen. Zu allem Überdruss überschatten die anhaltenden Zollstreitigkeiten mit den USA den gesamten internationalen Handel. (siko)