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Nina Janke als Marlene Dietrich. Foto: Jörg Carstensen/dpa © Foto: Jörg Carstensen

Ewig grüßt Marlene: Wie der Mythos der 20er Jahre noch heute zieht

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Bald kommt die neue Staffel der Serie „Babylon Berlin“. Im Admiralspalast wird die Revue „Berlin Berlin“ gezeigt, das den „Tanz auf dem Vulkan“ wagen will, natürlich mit einer Marlene-Dietrich-Darstellerin.

Im Tipi-Zelt am Kanzleramt ist „Cabaret“ ein Dauerbrenner. Auf Partys tanzen die Leute Swing, Charleston und Lindy Hop, es gibt Kostümverleihe und eigene Touren für Touristen.

Berlin feiert seine 20er Jahre - auch noch 100 Jahre später. In der U-Bahn kann es passieren, dass dort eine Gruppe mit Schiebermütze, Fransenkleid und Zigarettenspitze unterwegs ist, um einen Geburtstag zu feiern. Am Hermannplatz in Neukölln soll Architekt David Chipperfield im Stil der 20er-Jahre ein Kaufhaus errichten, so prunkvoll, dass der Bau umstritten ist.

Leser der Krimis von Volker Kutscher, der die Vorlage für die Serie „Babylon Berlin“ lieferte, sehen die Stadt mit anderen Augen: Wo war wohl die Gaststätte „Aschinger“ oder das Etablissement „Moka Efti“? Die Bücher sind eine Reise in die Weimarer Republik, die Zeit zwischen den Weltkriegen.

Vor der Nazi-Zeit hatte die Stadt den Ruf, brodelnd und weltoffen zu sein, ein Mythos, der bis heute verfängt. Als Prinz William und seine Frau Kate Deutschland besuchten, gehörte das Tanzlokal „Clärchens Ballhaus“ zum Programm, ein Stück Retro-Berlin. Der Mythos kommt maßgeblich von Christopher Isherwoods Klassiker „Leb wohl, Berlin“, der später mit Liza Minnelli als „Cabaret“ verfilmt wurde.

Das alles nutzt der Werbung um Touristen. „Bei internationalen Gästen, zum Beispiel aus den USA, ist das Interesse insbesondere an diesem Teil der Geschichte der Stadt sehr groß“, heißt es bei der Marketinggesellschaft Visit Berlin.

Die Serie „Babylon Berlin“ sei in diesem Sinne ein Geschenk für die Stadt gewesen. Gedreht wurde sie in den Kulissen von Babelsberg. Aber ein paar Schauplätze kann man sich angucken, etwa das Stummfilmkino Delphi in Weißensee oder das Rote Rathaus. Für Berlin ist die Serie so wichtig, dass der Regierungschef Michael Müller (SPD) zur Weltpremiere nach Los Angeles reiste.

Der Historiker Hanno Hochmuth vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam kann erklären, warum der Mythos der „Goldenen 20er Jahre“ bis heute zieht. Generell gibt es ihm zufolge seit etwa vier Jahrzehnten in den westlichen Gesellschaften einen Erinnerungsboom, ein starkes Interesse an der Vergangenheit. „Damit ist nicht nur pure Nostalgie gemeint, sondern auch das kritische Erinnern und das Aufarbeiten von Vergangenheit.“ Ein Meilenstein war demnach die Serie „Holocaust“ von 1978, die diesen Begriff in Deutschland erst richtig einführte.

Und warum gerade jetzt das Interesse an Weimar und „Babylon Berlin“? Das habe zum einen mit der Fixierung auf Jahrestage zutun, etwa 100 Jahre November-Revolution, so Hochmuth. „Der Hauptgrund liegt aber im ambivalenten Charakter der Weimarer Republik.“ Berlin als Hauptstadt und Metropole war zum einem die Stadt der Freiheit und zum anderem ab 1933 die Stadt der zerstörten Freiheit. „Das Bild vom „Tanz auf dem Vulkan“ drückt beide Dimensionen aus.“

In „Babylon Berlin“ spielt das laut Hochmuth eine enorme Rolle. Die Hauptfigur Charlotte Ritter wird als Typ der starken emanzipierten Frau, Berlin als Party-Metropole dargestellt. Das „Moka Efti“ sei eigentlich ein biederer Schuppen gewesen, so Hochmuth. In der Serie wird es als verruchter Club, wie ein „Berghain 1929“, inszeniert. „Da schwingt ganz viel Selbstbild von Berlin heute mit.“

Wenn in den neuen Folgen der Serie die Nationalsozialisten auftauchen, gibt es wieder einen Bezug zum Heute: zum Erstarken des Populismus und der politischen Rechten. Als Historiker ist Hochmuth vorsichtig mit Vergleichen. Aber solche Bezüge wirken seiner Meinung nach beim Erfolg von „Babylon Berlin“. Ihn überrascht nicht, dass sich die Tourismuswerbung an die Serie hängt.

Gerade war Hochmuth bei einem Auftritt des Moka Efti Orchestra im wieder eröffneten Metropol-Theater, mit anschließender Burleske-Show. „Da sah ich, wie sehr das offenbar gerade einen Nerv trifft, von den Menschen in dieser Stadt und weit darüber hinaus.“ Die dritte Staffel von „Babylon Berlin“ will Hochmuth auf jeden Fall gucken. Sie startet am 24. Januar 2020. Dann haben die neuen 20er Jahre begonnen.

Das 14-köpfige Moka Efti Orchestra, das in den Nachtclub-Szenen auftrat und den bekanntesten „Babylon Berlin“-Song „Zu Asche, zu Staub“ beisteuerte, nutzt den Serien-Rückenwind. Die Musiker um den Pianisten Nikko Weidemann und die Sängerin Severija bringen am 14. Februar das offizielle Debütalbum „Erstausgabe“ heraus.

Noch vorher, am 19. Dezember, feiert die Revue „Berlin Berlin“ ihre Premiere im Admiralspalast. Es ist eine Zeitreise in die Welt von Marlene Dietrich, Anita Berber, Josephine Baker und der Comedian Harmonists. „Die 20er Jahre liegen ja irgendwie in der Luft“, sagte Produzent Martin Flohr am Freitag.

Regisseur Christoph Biermeier versprach „spannende Geschichten aus der Geschichte“. Als erste Kostproben gab es bei der Vorstellung Lieder wie „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ und „Mein kleiner grüner Kaktus“. Der Conférencier Martin Bermoser sang „Let's misbehave“ und spielte auf das verruchte Image der Stadt an: „Berlin schläft nie. Und wenn wir schon einmal schlafen, dann miteinander.“

RBB-Bericht zum Hermannplatz

Spiegel online über Josephine Baker in Berlin

Visit Berlin zu 20er Jahren

Visit Berlin Themenspezial zu "Babylon Berlin"

Vortrag von Hanno Hochmuth zu "Babylon Berlin"

Babylon-Berlin-Tour

Show "Berlin Berlin"