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Philipp Heitmann lebt seit einem halben Jahr mit einem künstlichen Darmausgang und kommt gut zurecht damit. Der größte Wunsch ist endlich in Erfüllung gegangen: Philipp darf endlich Motorrad fahren. Foto: Heidrun Meyer
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„Mit Beutel geht’s mir besser“

Colitis ulcerosa: Philipp Heitmann bekommt mit 23 Jahren ein Stoma

Hamersen. Vor knapp vier Jahren hat sich das Leben von Philipp Heitmann drastisch verändert. Von jetzt auf gleich setzten bei ihm Durchfälle ein, begleitet von Bauchschmerzen und Krämpfen. Unangenehme Beschwerden, die jeder kennt, aber meist vorübergehend sind. Zunächst ging auch der Arzt vom üblichen Magen-Darminfekt aus. Doch die Beschwerden besserten sich nicht. Im Gegenteil.

Der jetzt 23-Jährige erholte sich nicht. Durchfälle mit Blut- und Schleimabgang quälten ihn zunehmend, er verlor drastisch an Gewicht. „Es war der Horror. Ich musste mehrmals nachts hoch, war körperlich völlig geschwächt“, erinnert er sich. Er kam zur weitergehenden Diagnostik ins Krankenhaus. Schnell stand die Diagnose fest: Colitis ulcerosa, eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung, deren Ursache nicht bekannt ist. Eine Krankheit, die betroffene Menschen an unzähligen Tagen nicht aus dem Haus lässt und ihre Lebensplanung über den Haufen wirft. Auch bei Philipp.

Seine Ausbildung zur Servicekraft für Schutz- und Sicherheit, für die er seinerzeit im Hamburger Hafen eingesetzt war, musste er abbrechen. Eine Odyssee aus Arzt- und Krankenhausbesuchen, medikamentösen Therapien und Infusionen nahm ihren Lauf. Die Erkrankung beherrschte sein Leben. Die Medikamente zielten darauf ab, die Entzündung einzudämmen und damit eine dauerhafte Schädigung des Darmes zu verhindern sowie die Symptome zu lindern. Die Entzündung verläuft in Schüben, es kann lange, gesunde Phasen ohne Beschwerden geben. Nicht so bei Philipp. Er hatte konstant intensive Darmprobleme. Kortison-Präparate und Immunsuppressiva zur Unterdrückung der körpereigenen Immunabwehr kamen zum Einsatz. Deren Einnahme geht oft mit heftigen Nebenwirkungen einher. Philipp war stark betroffen: „Ich hatte heftige Gelenkschmerzen, habe erheblich an Gewicht zugenommen und sehr stark geschwitzt. Ich hatte das typische Mondgesicht, das man unter einer Kortisontherapie bekommt.“ Seine Ausbildung musste er abbrechen. Fast ein Jahr lang konnte er das Haus, in dem er in Hamersen mit Mutter Sabine und deren Ehemann Stephan lebt, nicht verlassen. Sie waren immer an seiner Seite, auch seine ältere Schwester, die inzwischen ausgezogen ist und sein Vater, der in Sittensen wohnt. Gemeinsam durchlebten sie ein ständiges Auf und Ab, das von der jeweiligen Medikamentendosis bestimmt war.

„Seine Lebensqualität war zeitweise völlig weg. Keine Freizeitaktivitäten, keine Unternehmungen mit Freunden. Trotzdem hat er sein Schicksal tapfer ertragen und nicht gejammert“, sagt seine Mutter. „Ich kann es ja nicht ändern und muss es hinnehmen“, beschreibt Philipp seine Einstellung. Gut aufgehoben fühlte er sich schließlich in einer internistischen Gemeinschaftspraxis in Tostedt. „Ich habe aufgehört zu zählen, wie viel verschiedene Medikamente ich genommen habe“, resümiert der 23-Jährige. Am 1. August 2018 beginnt er eine neue Ausbildung in Sittensen als Kaufmann für Büromanagement. Dann ein Lichtblick: Im Oktober 2018 bekommt er ein neues, frisch zugelassenes Medikament. Bis März ist er nahezu beschwerdefrei. Und kann endlich anfangen, den heiß ersehnten Motorrad-Führerschein zu machen. Doch auch jetzt entwickelt er wieder Resistenzen. Die Möglichkeiten der medikamentösen Therapien sind ausgeschöpft. Der gesamte Dickdarm ist betroffen. Philipp und seine Familie wissen, was das bedeutet. Er ist austherapiert, eine Operation unumgänglich. Dabei entfernt der Chirurg den gesamten Dickdarm und konstruiert aus dem Dünndarm eine Art künstlichen Enddarm. Der Stuhl wird nicht mehr über den After ausgeschieden, sondern über den neu geschaffenen Ausgang, bei dem ein Teil des eigenen Darms nach außen geführt wird. Zu diesem Stoma gehört ein Auffangbeutel, in dem die Ausscheidungen gelangen. Fünf Stunden wird Philipp am 21. Mai im Krankenhaus in Lüneburg operiert. Dort gibt es eine Fachabteilung, die spezialisiert ist auf Darmerkrankungen. Die Dickdarmentfernung, die sogenannte Kolektomie, verläuft gut. Als Philipp erwacht, hat er ein Ileostoma, den künstlichen Darmausgang. Um in seiner Nähe sein zu können, bezog seine Mutter während des Krankenhausaufenthaltes eine Ferienwohnung in Lüneburg. Sie hat die ganze Zeit mitgelitten, gebangt und gehofft. Auch Phillips Vater war immer für ihn da. Überhaupt weiß er seine Familie zu jeder Zeit unterstützend an seiner Seite. Das gibt ihm Kraft. „Es kommt wie es kommt“, gibt sich Philipp unvermindert tapfer. Nach der Operation kam eine Blasenentzündung hinzu. Auch die hat er überstanden. Den Umgang mit dem Stoma beherrscht er inzwischen sicher. Schon im Krankenhaus wurde er von einem Stoma-Therapeuten betreut und aufgeklärt. Auch jetzt ist dieser bei Bedarf jederzeit für ihn erreichbar.

„Ich fühle mich gut aufgehoben und versorgt“, sagt Philipp. Seine Ausbildung hat er wegen der vielen, krankheitsbedingten Fehlzeiten am 1. August neu begonnen. Und er fährt endlich Motorrad, nachdem er Ende August die Prüfung erfolgreich bestanden hat. Philipp empfindet wieder Lebensqualität. Er probiert aus, welche Speisen ihm bekommen, kann schwimmen gehen und will auch wieder im Fitnessstudio Sport treiben. „Es gibt ein speziell auf Stoma-Träger abgestimmtes Training“, lässt er wissen. Allerdings darf er nicht schwer heben, weil das Risiko eines Bauchdeckenbruches besteht. Das ist für ihn die größte Einschränkung. Und trotzdem: „Mit Beutel geht’s mir besser als vorher“, so sein Fazit.

Die Nebenwirkungen der medikamentösen Therapie sind indes nicht behoben. Nach wie vor kämpft er mit entzündeten Bronchien, Husten, Heiserkeit. Auch sein Sehvermögen hat gelitten. „Aber er hat sein Lachen und den Schalk in den Augen wieder“, freut sich seine Mutter. Und Philipp nickt zustimmend – mit einem Augenzwinkern, das alle lange vermisst haben.