Neues Album
Joe Henry: „The Gospel According to Water“ – Jedes einzelne Gesicht im Spiegel
by Sylvia StaudeJoe Henrys schlichtes, bewegendes Album „The Gospel According to Water“.
Vor etwa einem Jahr erhielt der Singer, Songwriter, Produzent Joe Henry eine schlimme Krebsdiagnose. Bald darauf soll er an nur zwei Tagen ein Album eingespielt haben. Es ist nun kürzlich erschienen unter dem rätselhaften Titel „The Gospel According to Water“. Kann man es einer Musik anhören, wenn sich ihr Schöpfer in einer Ausnahmesituation befindet? Nach Hören dieser Songs möchte man meinen: man kann. Oder jedenfalls hat es den Anschein, Song für Song ist roh und sparsam behauen, nirgendwo ist zu viel dran, nirgendwo zu wenig. Ein Mann, ganz bei sich, eine Gitarre, ein paar Unterstützer hier und da.
„The Gospel According to Water“ ist bereits Joe Henrys 15. Album, aber es sticht heraus. Unter der überschwänglichen Adresse www.joehenrylovesyoumadly.com wird jeder Song begleitet von den Worten, der herzlichen Empfehlung einer Kollegin, eines Kollegen, eines Freundes. Beim Titelsong ist es Lucinda Williams – „Listen carefully. Listen closely“, schreibt sie -, auch Bonnie Raitt hat sich beteiligt, Joan Baez, Rosanne Cash, Jackson Browne sind dabei. Die Autorin Gloria Steinem hat sich das feine kleine „Choir Boy“ ausgesucht, zu dem Henrys Sohn Levin eine schlichte Klarinetten-Melodie beisteuert. Der Schauspieler Hugh Laurie entschied sich für „Bloom“, dessen melancholischer Optimismus zu Herzen geht, mit Zeilen wie „we spy the hand of god alive / and holding out the mirror, / our every single face within / to carry on from here“ – jedes einzelne Gesicht findet sich im Spiegel Gottes.
Und Colum McCann, der irische Schriftsteller, hat nach Schriftstellerart nicht mit Worten gespart, er erzählt, wie er erfuhr, dass „die Wunde“ eingedrungen sei in seinen Freund, wie er ihm sofort zutraute, zu kämpfen – und, wenn nötig, noch mehr zu kämpfen, wie er dann zum ersten Mal den Song „Green of the Afternoon“ hörte mit der lyrischen Zeile „to move like green upon the afternoon“, die ein bewegtes, sich bewegendes Grün an einem Nachmittag beschwört.
Ebenfalls in diesem Lied findet sich die Wendung: „what goes unspoken / may not go unheard“. Und wie sehr es gilt, dass hier Stimmungen, Gefühle mitklingen, unmittelbar er-hört werden können, gerade durch die Unaufgeregtheit, aber Intensität der Stimme, die Schnörkellosigkeit der musikalischen Begleitung. Es gibt mal ein wenig Piano, gespielt von Patrick Warren, die Klarinette oder ein zartes Saxofon von Levon Henry, John Smith ist als zweiter Gitarrist dabei. Es ist eine gelassene Musik, kennzeichnend ist das Fehlen jeglichen Schlagwerks.
Zum Teil sind diese Songs eingängig, manche möchte man gleich mitsummen, die Refrains mitsingen. Trotzdem haben sie auch diese Ecken, haben etwas Ungeschliffenes, etwas, das man Authentizität nennen möchte, obwohl der Begriff so oft strapaziert wird. An keiner Stelle forciert Joe Henry seine helle, drahtige, angeraute Stimme, doch ist auch Kraft in ihr zu spüren. Und tatsächlich die Überzeugung, dass es genau so richtig ist, wie ihm diese Lieder eingefallen sind, wie er sie nun singt.
Und weil er offenbar zu einem Video gedrängt wurde („das macht man jetzt so“), gibt es tatsächlich eins zu diesem Album: Minutenlang blickt Joe Henry bloß in die Kamera, fährt sich höchstens mal durch die Haare. Ein Mensch schaut einen an, aufmerksam. So, zutiefst menschlich, wirkt auch dieses ganze Album.