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Getty Images/iStockphoto/DaLiu

Sterbliche Überreste geben Rätsel auf: In Katakomben des Vatikans? Warum das Grab des Apostels Petrus bis heute mysteriös ist

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Mit dem Tod des ersten Stellvertreters Jesu beginnt die Geschichte des Vatikans. So vermittelt es die Überlieferung. Archäologische Forschungen unter dem Petersdom zeigen: Die Wahrheit ist deutlich komplizierter.

Papst Pius XII. überrascht die Weltöffentlichkeit kurz vor Weihnachten 1950 mit der Nachricht: „Ja! Das Grab des Apostelfürsten ist wiedergefunden.“ Archäologen hatten bereits zehn Jahre lang metertief unter dem Petersdom geforscht, als das Kirchenoberhaupt den Abschlussbericht der geheimen Grabungen vorstellt. Die Wissenschaftler hatten nicht zuletzt herausfinden sollen, ob Petrus nach seinem Märtyrertod tatsächlich hier zur letzten Ruhe gebettet wurde.

Auf die frohe Botschaft des Papstes werden sich manche Menschen verwundert zwei Fragen gestellt haben: Stand die Lage von Petrus’ Grab nach fast 2000 Jahren Kirche überhaupt noch zur Diskussion? Und wenn ja, warum sollte es ausgerechnet an dieser Stelle liegen?

Spannend, aber gerade keine Zeit?

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In der Arena Kaiser Neros stirbt Petrus einen Mätyrertod

Rom, knapp 2000 Jahre zuvor: An der Stelle des späteren Petersdoms steht ein gigantischer Circus. Schon Kaiser Gaius, genannt Caligula, hat die Spielstätte während seiner Regentschaft von 37 bis 41 n. Chr. errichten lassen, um dort Wagenrennen zu veranstalten. Der Überlieferung zufolge hatte seine Mutter Agrippina ihm die Fläche westlich des Tiber vermacht, die schon damals den Namen „ad Vaticanum“ trug.

Doch erst der jetzige Herrscher Roms, Nero, verlieh dem Circus seine gewaltigen Ausmaße: Bis zu 560 Meter in der Länge und 85 Meter in der Breite maß der Bau nach Schätzungen einiger Forscher. Das entspräche etwa der Fläche von sieben Fußballfeldern.

Auch Nero frönt den Wagenrennen, nimmt sogar selbst an ihnen teil. Außerdem ergötzt er sich an blutigen Spektakeln: Christen werden ans Kreuz geschlagen, bei lebendigem Leib verbrannt, in Tierhäute genäht und von Hunden zerfleischt. Nero verfolgt die Christen grausam, weil er ihnen die Schuld am verheerenden Brand von Rom zuschreibt. Eben hier stirbt einer historischen Deutung zufolge um das Jahr 64 oder 67 ein Christ den Märtyrertod am Kreuz, der als erster Stellvertreter Jesu in die Geschichte eingehen wird: der Apostel Simon, genannt Petrus.

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G/Geschichte

Dieser Artikel erschien zuerst in dem Magazin G/Geschichte.

 

Kaiser Konstantin bebaute den vatikanischen Hügel

Dem Circus ist kein langes Bestehen beschieden. Archäologischen Untersuchungen zufolge ist er wohl um die Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. schon aufgegeben und römische Gräber breiten sich auf seinem Areal aus. Auch Petrus scheint hier erst einmal in Vergessenheit geraten zu sein. Bis Kaiser Konstantin, der das Christentum zur staatlich geförderten Religion erhebt, um das Jahr 324 auf dem vatikanischen Hügel eine Basilika errichtet.

Statt sich an die Gegebenheiten vor Ort anzupassen, krempelt er den Hügel von Grund auf um, wie Forscher Jahrhunderte später feststellen werden. Konstantin lässt an einem Ort den Hügel samt der Gräber abtragen und ein Stück hangabwärts das Bodenniveau anheben – und das, obwohl hangaufwärts eine ebene Fläche geradezu darauf wartet, bebaut zu werden.

Ein Aufwand, der völlig unverhältnismäßig wäre, gäbe es nicht eine Stelle in der Basilika, auf die sich alles zu fokussieren scheint. Sollte das tatsächlich die Stelle sein, die fromme Christen dem Kaiser wiesen, weil sie dort seit Anfang des 2. Jahrhunderts das Grab des Petrus verehrten? Hat Kaiser Konstantin seine Kirche, den bis 1503 genutzten Vorgängerbau des heutigen Petersdoms, tatsächlich und bewusst über dem Grab des Petrus errichtet?

Die Archäologen fanden mehr als nur alte Gräber

Fragen, die auch Papst Pius XII. beschäftigen, als die Archäologen während des Zweiten Weltkriegs unter dem Petersdom zu Gange sind. Der Pontifex hatte um 1940 den Auftrag dazu erteilt. Eigentlich ging es darum, die Grotten unter der Kirche umzubauen. Der jüngst verstorbene Pius XI. hatte testamentarisch verfügt, wie so viele Päpste vor ihm dort bestattet zu werden – dafür brauchte es Platz. Doch was die Archäologen fanden, waren mehr als nur die Sarkophage vergangener Kirchen­oberhäupter.

Die Ausgräber waren auf die alte Via Cornelia gestoßen, eine römische Totenstraße, auf der sich ein antikes Grabmal an das andere reiht – und die direkt unter den Altar des Petersdoms führt. Angestachelt von Neugier ließ Pius XII. die Grabungen vorantreiben. Mochte dort das sogenannte Tropaion liegen, das Grabmal, das nach den antiken Beschreibungen eines Priesters namens Gaius um das Jahr 160 über dem Apostelgrab errichtet worden sein soll?

Im ersten Moment schien das Ergebnis ernüchternd: ein gepflastertes Feld, nicht größer als vier mal sieben Meter. Statt einer prunkvollen Bestattung nur eine rote Ziegelmauer mit einer Zierfassade und zwei leeren Nischen. Daneben eine weitere Mauer, ebenfalls mit einer Nische und völlig bekritzelt mit Graffiti. Erst als die Archäologen unter dem Boden vor der Fassade suchten, stießen sie in einer kleinen Grube auf Knochen. Doch selbst die stellten sich im Labor als buntes Gemenge heraus: Sie gehörten zwei Männern und einer Frau. Und außerdem einem Schwein, einem Pferd und einem Hahn

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Endlich hat die Kirche ihren Petrus

In den 1950er-Jahren macht sich die Italienerin Margherita Guarducci daran, die Sache noch einmal aufzurollen. Die Inschriftenspezialistin untersucht die Graffiti aus den Grabungen – und deutet die Krakelschrift als "Hier ist Petrus". Eher zufällig stößt die Wissenschaftlerin im Magazin des Vatikans auf eine Kiste mit Knochen, die einst just in der Nische mit den Graffiti lagen – Knochen, die wohl ebenso zufällig nie in den damaligen Grabungsbericht Eingang gefunden hatten.

Analysen, die Guarducci Mitte der 1960er-Jahre vorstellt, zeigen: Es handelt sich um die sterblichen Überreste "einer 60- bis 70-jährigen männlichen Person von kräftiger Statur". Und die waren demnach einst sogar von purpurrotem, golddurchwirktem Stoff umhüllt. Endlich hat die Kirche ihren Petrus.

Die Beweisführung mag überzeugen oder auch nicht: An einer gewichtigen Tatsache ändert sie nichts – und der hatte sich auch Papst Pius bereits 1950 bei seiner Weihnachtsbotschaft zu stellen: Die Archäologen haben bei ihren Ausgrabungen unter dem Petersdom nichts anderes entdeckt als den Ort, den Christen zur Zeit Kaiser Konstantins als das Grab des Petrus verehrten. Ob es sich um dessen wirkliches Grab handelt, ist so ungeklärt wie die Identität desjenigen, dessen Gebeine darin lagen.

Für Pius XII. und die katholische Kirche spielte das seinerzeit nur eine untergeordnete Rolle. Im Abschlussbericht der Grabungen heißt es: Wem die sterblichen Überreste gehören, sei "ohne Bedeutung für die geschichtliche Wirklichkeit des Grabes".

Der Artikel stammt aus dem Magazin G/GESCHICHTE PORTRÄT "Der Vatikan", Autor: Sebastian Kirschner

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