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Was macht eigentlich Detlef Irrgang?

Fußballgott, a.D.

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Niemand hat mehr Pflichtspiele für Energie Cottbus absolviert als Detlef Irrgang. Der mit den Lausitzern im Pokalfinale stand, sie zweimal zum Aufstieg schoss und kein gutes Haar am aktuellen Trainer lässt. Dafür immerhin Eduard Geyer duzen darf. Von Ilja Behnisch

Seit 20 Jahren muss Detlef Irrgang immer wieder an diese eine Szene denken. Immer wieder an diese eine Szene aus dem DFB-Pokalfinale 1997: "Im Strafraum, ich habe den Ball, ich mache meinen Haken, Legat rutscht vorbei, und ich schieße mit links dem Wohlfahrt den Ball in die Arme. Dabei war die lange Ecke frei. Sowas vergisst man nicht."

Sowas wie Drittligist Energie Cottbus gegen den VfB Stuttgart. Mit Jogi Löw als Trainer, mit Balakow, Bobic und Elber im Sturm. Das magische Dreieck. Und auf der Gegenseite Detlef Irrgang, "Fußballgott". Er ist der Rekordspieler der Lausitzer. Über 400 Pflichtspiele hat er für "seinen" Verein absolviert, er hat sie in die zweite Liga geschossen und auch in die erste. Nur nicht zum Pokalsieg.

Er sagt: "Ich habe ja die riesige Chance gehabt zum 1:1. Und im Gegenzug macht Elber das 2:0. Wenn Pokalfinale ist, muss ich da immer dran denken. Aber wie wir danach in Cottbus auf dem Altmarkt empfangen wurden und die Leute, die waren so stolz, auf den Verein, auf uns."

Kurzes Intermezzo bei Stahl

Stolz darf auch Irrgang sein, mindestens auf seine Karriere. 1984, mit 18, kommt er aus Finsterwalde zu Energie Cottbus, spielt mit ihnen DDR-Liga, die zweithöchste Spielklasse. Als die Mauer fällt, ist er im besten Fußballer-Alter. "Aus Belgien und Holland gab es Angebote. Aber damals war ich verheiratet, hatte ein kleines Kind und deshalb habe ich mich für Stahl Brandenburg entschieden", sagt er. Nach nur einem Jahr zweite Liga geht es wieder zurück: "Wir sind sang- und klanglos abgestiegen."

In Cottbus geht es dafür steil bergauf. Auch wegen Detlef Irrgang, dem rastlosen Mittelfeldspieler mit dem ausgeprägten Torinstinkt und über 150 Pflichtspieltreffern. Vor allem aber wegen Eduard Geyer, dem Ex-Trainer von Dynamo Dresden und der Nationalmannschaft der DDR, der 1994 in die Lausitz kommt. 

Harte Geyer-Schule

Und die Spieler folgen. In Horden. "Im Schnitt standen 30 Spieler im Kader. Und in jeder Sommer- und Winterpause gab es eine Fluktuation von bis zu zehn Spielern. Und dann waren auch noch fast jede Woche Probespieler im Training." Den Kern aber bilden andere: "Wir waren viele aus der Region. Ich, Melzig, Hoßmang, Benken - das war der i-Punkt des Erfolgs."

Vielleicht war die Fluktuation auch deshalb so hoch, weil Ede Geyer nunmal Ede Geyer ist, ein Mann, der schon vor Felix Magath Felix-Magath-Sachen machte. Wie Irrgang das überstanden hat? Er sagt: "Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Ich wusste, was bei ihm auf mich zukommt. Wenn Sommerpause war, war ich zwar auch im Urlaub, aber dann hat die Familie am Strand gelegen und ich bin bei der größten Hitze laufen gegangen. Weil unter Geyer vom ersten Tag an trainiert wurde, als hätte man schon vier Wochen Ausdauer gemacht. Und wer mit Übergewicht ankam, den erwartete erstmal eine saftige Geldstrafe."

Sie sehen sich immer noch, Irrgang und Geyer, ein paar Mal im Jahr. Dann sitzen sie zusammen, trinken ein Bierchen und plaudern über früher. "Er ist lockerer geworden, entspannter. Aber Respekt haben seine Ex-Spieler immer noch vor ihm", sagt Irrgang. "Sie sagen alle immer noch Trainer zu ihm und siezen ihn." Irrgang duzt Geyer. Aus Gründen.

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Kündigung ohne Grund

Denn das Detlef Irrgang nicht ein einziges Bundesligaspiel in seiner Vita stehen hat, hat ihn lange gewurmt. Es wurmt ihn heute noch. Und es ist die Schuld von Eduard Geyer - der Irrgang nach dem Aufstieg, den er mit seinem Treffer zum 1:0 gegen den 1.FC Köln maßgeblich festgezurrt hatte, versprochen hatte, dieses eine Jahr Bundesliga zu bekommen. Und sei es als Stand-By-Profi.

Doch nach der Sommerpause sieht Geyer die Sache anders. Irrgang, inwzischen 34, soll in die Marketing-Abteilung des Vereins wechseln und die Schuhe "an den Nagel hängen". Jahre später entschuldigt sich der Trainer bei seinem Spieler. Seither duzen sie sich.

Bald darauf übernimmt Irrgang auch die Mannschaftsbetreuung, kümmert sich um Hotels, Flüge, Trikots, Schuhe und überhaupt alles, was so eine Profi-Mannschaft im Alltag geregelt bekommt. Es läuft gut für ihn und Energie. Unter Petrik Sander, dem Nachfolger Geyers, gelingt nach dem Abstieg 2003 der erneute Aufstieg 2006. Erst unter Bojan Prasnikar wendet sich das Blatt, weil auch die Vereinsführung nun eine andere ist.

Ulrich Lepsch, seit 2004 Energie-Präsident, treibt die Entwicklung auf die Spitze, setzt Irrgang nach dessen Worten die Pistole auf die Brust. Er soll weg von der ersten Mannschaft, dafür als Nachwuchstrainer arbeiten. Irrgang willigt ein, unter der Bedingung, dass der Verein ihm die B- und A-Trainerscheine zahlt. Mündlich, so Irrgang, sei auch alles geregelt gewesen. Doch die vorgelegte Vertragsfassung kommt plötzlich ohne die von Irrgang verlangten Zusagen daher. 

"Ich habe dann zu Herr Lepsch gesagt: Wenn der Passus mit dem B- und dem A-Schein drin ist, unterschreibe ich. Ein Tag später kam das Einschreiben mit der Kündigung ohne Grund. Und dann hat man sich vor dem Arbeitsgericht getroffen und dann wurde ein Vergleich erzielt. So haben sich die Wege getrennt. Da war Energie Cottbus noch in der ersten Liga."

Nicht mal mehr Freikarten

Dass der Stachel tief sitzt, merkt man Irrgang auch zehn Jahre später noch an. Und es mischen sich Wut und Trauer und verletzter Stolz zu einer merkwürdig ruhigen Form von Trotz, wenn er sagt: "Das war eine Katastrophe. Das ist schlimm. Ich durfte nicht mal mehr in der Ü35 spielen".

Er hat dann noch für die SG Burg gespielt. Seit drei Jahren arbeitet er in einem Fitness-Studio in Cottbus. Zu Energie geht er nicht mehr, auch wenn es ihn neulich mal wieder gejuckt hatte. "Ich habe vor dem Spiel gegen Meuselwitz angefragt, ob es ein Karten-Kontingent für ehemalige Spieler gäbe, so wie bei anderen Vereinen. Nein, so etwas gäbe es nicht, hieß es da."

Und dann ist da wieder diese Enttäuschung: "Gegen Meuselwitz kommen 4.000 Zuschauer, 23.000 passen rein. Und wenn man dann nicht mal für ehemalige Spieler eine Freikarte übrig hat ... Wenn ich in Uerdingen oder sonstwo anrufe, sagen sie: Wieviele Karten brauchst Du?"

Es ist nicht mehr sein Energie. Der Verein, bei dem er 25 Jahre war. Der immer in seinem "Herzen bleiben wird". Das klingt nach Floskel. Und ist es nicht. Es geht ihm wirklich darum, was aus diesem Klub wird. Was mit diesem Klub ist. Wenn er wenigstens erfolgreich wäre, ohne ihn. Aber so? "Ich würde mich freuen, wenn sie Erster werden sollten. Mein Herz schlägt ja noch für Energie."

Lausitzer Legenden

Doch Irrgang ist skeptisch. Gegenüber Energie im Allgemeinen. Und Wollitz im Speziellen. "Er ist zweimal abgestiegen. Und vorige Saison, da hat er ja wirklich eine gute Truppe gehabt. Ob Mamba oder Stein, den er rausgeschmissen hat. Mit der Mannschaft abzusteigen, das war schon eine super Leistung. Und jetzt? Trainiert Cottbus unter Profibedingungen. In einer blanken Amateurliga. Wenn man da nicht oben steht, dann weiß ich auch nicht."

Im kommenden Jahr, 2020, wollen sie sich treffen, all die Lausitzer Legenden, mit denen Energie noch der Stolz der Region war. Aber erstmal steht am 23. Mai 2020 das DFB-Pokalfinale an. Dann geht sie wieder los, diese eine Szene. Immer wieder. Seit über 20 Jahren.

Sendung: rbb24, 29.11.2019, 21:45 Uhr