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Noch mal durchgestartet: Greta Silver arbeitet als Model, Youtuberin und Autorin. Foto: Lotta Fotografie/dpa-tmn
Macht Mut

Von Menschen, die im Alter noch mal was ganz Neues gemacht haben

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Hamburg/Siegen - Es war dieser eine Moment im Schlafzimmer. Greta Silver war plötzlich ganz und gar erschüttert. Jahrelang war sie Hausfrau gewesen und hatte sich mit Herzenslust um die Kinder gekümmert. Nun stand sie vor den Betten, die gemacht werden wollten, und fragte sich: Läuft hier nicht etwas schief? Sollte mich mein Alltag nicht viel mehr erfüllen – und nicht nur eine Checkliste sein, die ich abhake? Was möchte ich mit meinen 48 Jahren eigentlich noch erreichen?

Klar wäre es am gemütlichsten gewesen, die Füße hochzulegen, mal halblang zu machen und dem Ruhestand entgegen zu träumen. Doch Greta Silver entschied sich anders.

Heute hat die 71-Jährige einen erfolgreichen Youtube-Kanal, ist gefragtes Model und Autorin des Buches „Alt genug, um mich jung zu fühlen“. Sie sagt: „Das Älterwerden empfinde ich als Start-up-Unternehmen. Jetzt kann ich neue Dinge ausprobieren, für die ich vorher keine Zeit hatte. Ich möchte doch nicht mit 100 Jahren denken müssen: Ich habe etwas verpasst.“

Älterwerden als Gelegenheit, noch mal Grenzen auszutesten

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Gerhard Sprakties ist Altenseelsorger und Autor des Buchs „Happy-Aging statt Anti-Aging".Foto: Kirsten de Vos/dpa-tmn

So sieht es auch Gerhard Sprakties, Altenseelsorger und Autor des Buchs „Happy-Aging statt Anti-Aging“. Er findet es wichtig, sich schon in jüngeren Jahren mit dem Älterwerden zu beschäftigen: „Sonst fällt man im Ruhestand in ein existenzielles Vakuum und weiß plötzlich nichts anzufangen mit all der Zeit. Dabei ist es die Gelegenheit, noch einmal Grenzen auszutesten.“

Aber ist das wirklich vernünftig? Sollte man nicht lieber einen Gang zurückschalten und vorsichtiger durchs Leben gehen?

„Nein, das muss man nicht, solange es die körperliche Fitness zulässt“, sagt Prof. Simon Forstmeier, Leiter des Lehrstuhls Klinische Psychologie der Lebensspanne an der Universität Siegen. Studien zeigten, dass Menschen zwischen 60 und 80 Jahren nicht unbedingt weniger wagemutig seien. Was sich häufig ändert, seien die Bedürfnisse: „Ältere Menschen wollen ihre Zeit sinnvoller nutzen.“

Wie findet man den Sinn im Alter?

Aber geht das so einfach? Wie findet man den Sinn im Alter? „Indem man mutig bleibt und im richtigen Moment zupackt“, sagt Greta Silver. „Ich kenne so viele ältere Menschen, die Träume haben und nicht wissen, wie sie sie erfüllen können.“ Ihr Tipp: ganz klein anfangen.

„Ich habe Bekannte, die hätten gerne in ihrem Leben ein Café eröffnet“, erzählt Silver. „Natürlich ist das ein großes Projekt, das nicht einfach umzusetzen ist.“ Aber man könne sich annähern und beispielsweise anfangen, für Familienfeiern im Bekanntenkreis Kuchen zu backen und daraus vielleicht ein kleines Geschäft zu entwickeln.

Auch Greta Silver begann so: Die Hamburgerin entdeckte ihre Liebe zum Gestalten und übernahm ganz ohne Erfahrungen hier und da die Inneneinrichtung von Ferienhäusern und Hotels. Später startete sie ihren Youtube-Kanal, auf dem sie Tipps für mehr Lebensfreude im Alter gibt. „Meine Neugier hat mir geholfen, mich voll reinzuhängen. Natürlich habe auch ich einen inneren Schweinehund. Aber den sollten wir lieber in den Schwitzkasten nehmen und einfach loslegen.“

Die freie Zeit einfach auskosten

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Professor Simon Forstmeier ist Entwicklungspsychologe und Leiter des Lehrstuhls Klinische Psychologie der Lebensspanne an der Universität Siegen.Foto: Universität Siegen/dpa-tmn

Einfach loslegen: Manche Menschen tun sich aber genau damit schwer. „Dann kann es helfen, sich zu fragen, woran man in jüngeren Jahren Spaß hatte oder was man sich für spätere Zeiten immer noch mal vorgenommen hat“, erklärt Prof. Forstmeier. Das könne ein fast vergessenes Hobby sein oder eine ehrenamtliche Tätigkeit.

Gerhard Sprakties rät dazu, die freie Zeit einfach auszukosten. „Ich kenne ältere Leute, die leben zusammen in einem Haus auf Gran Canaria, haben zwar ihre Rollatoren in Reichweite, aber lassen nachmittags die Sektkorken knallen und springen in den Pool. Die sagen, sie leben jetzt.“

Rebellieren, wenn man noch keine Hilfe möchte

Doch was, wenn das Umfeld alles ganz anders sieht? Wenn zum Beispiel die Kinder zu mehr Ruhe mahnen? „Dann sollte man dagegen rebellieren, wenn man diese Art von Hilfe noch nicht möchte“, sagt Greta Silver. Natürlich sei es ein Geschenk, wenn Mitmenschen sich kümmern - aber eben bitte nicht zu früh: „Wenn wir noch fit und aktiv sind, wirkt es schnell entmündigend, wenn jemand in unseren Alltag eingreifen möchte.“

Auch Sprakties findet es problematisch, wenn Jüngere ihre Hilfe aufdrängen: „Wir haben so viele Stereotypen vom Alter im Kopf. Viele stellen sich traurige, kranke Menschen vor, die nicht mehr an der Gesellschaft teilnehmen wollen oder können.“ Und genau diese Bilder hätten eine starke Wirkkraft auf alte Menschen. „Sie bekommen das Gefühl, es sei tatsächlich so und richten sich in ihrer Rolle ein.“

Lebenszeit zwischen 60 und 90 Jahren so lang wie zwischen 30 und 60

Dabei sollte man nie vergessen, dass die Lebenszeit zwischen 60 und 90 Jahren genauso lang ist wie die zwischen 30 und 60, sagt Greta Silver. „Was wäre es für eine Verschwendung, sie nicht zu nutzen?“

Silver weiß, wie viele tolle Möglichkeiten Senioren heutzutage haben, um aktiv zu bleiben. Ein Beispiel ist der Senior Experten Service der Stiftung der Deutschen Wirtschaft für internationale Zusammenarbeit. Hier werden Senioren gesucht, die ehrenamtlich ihre langjährigen Erfahrungen aus dem Berufsleben auf der ganzen Welt einsetzen können.

Aktiv bleiben, ist bis ins hohe Alter wichtig

Wer nicht ganz so große Pläne schmieden möchte, kann sich auch einfach an die Seniorenberatungsstellen seines Wohnortes wenden, um Kontakte zu knüpfen und Interessen zu entdecken. „Aktiv bleiben, soweit es die Gesundheit zulässt, ist bis ins hohe Alter wichtig“, sagt Forstmeier. „Sonst ist die Gefahr groß, depressive Tendenzen zu entwickeln, die die Lebensqualität stark beeinträchtigen können.“

Auch Gerhard Sprakties wünscht sich, dass Menschen im höheren Alter mit Neugier in die Zukunft schauen. „Ich kenne eine alte Dame, die wohnte im Heim, hat eigentlich nichts mehr erwartet und spielte dann durch einen Zufall eine tragende Nebenrolle in einem Kinofilm.“ Und was sagte die Dame danach? „Das Beste in meinem Leben kam zum Schluss.“ (dpa/tmn)

Literatur:

Greta Silver: Alt genug, um mich jung zu fühlen. Rowohl Taschenbuch 2019, 224 Seiten, 16 Euro.

Gerhard Sprakties: Happy-Aging statt Anti-Aging: Glücklich und sinnerfüllt alt werden. Springer 2019, 179 Seiten, 17,99 Euro.