Naht der ökonomische Winter?

Was könnte in den USA eine Rezession auslösen? In der Vergangenheit diente ein zunehmend angespannter Arbeitsmarkt nach einer Expansionsphase als Frühwarnzeichen. Es wurde schwieriger, Arbeitskräfte zu finden, die Löhne stiegen, die Gewinnspanne der Unternehmen sank tendenziell, und sie begannen, ihre Preise zu erhöhen. Aus Angst vor der Inflation erhöhten die Zentralbanken daraufhin die Zinsen, was wiederum die Investitionen der Unternehmen drosselte und die Zahl der Entlassungen steigen liess.

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Raghuram G. Rajan ist ehemaliger Gouverneur der Reserve Bank of India und Professor für Finanzwissenschaft an der Booth School of Business der University of Chicago.

Zu diesem Zeitpunkt sank die Gesamtnachfrage, da die Verbraucher aus Angst um ihren Arbeitsplatz die Ausgaben verringerten. Der Lagerbestand der Unternehmen stieg, und die Produktion wurde weiter gedrosselt. Das Wachstum verlangsamte sich deutlich und signalisierte den Beginn einer Rezession. Diesem Zyklus folgte dann eine Erholung. Nach Abarbeitung des Lagerbestands machten sich die Unternehmen wieder an die Herstellung von Produkten. Wenn die Inflation nachliess, senkte die Zentralbank die Zinsen, um die Nachfrage anzukurbeln.

Diese Beschreibung scheint allerdings nur auf längst vergangene Tage zuzutreffen. Da sich die Inflation derzeit auf anhaltend gedämpftem Niveau befindet, sorgt sie nicht mehr zuverlässig für Zinsanstieg und darauf folgende Konjunkturabschwächung. Die Rezessionen der jüngeren Vergangenheit wurden vielmehr durch Finanzexzesse ausgelöst, die sich während der Expansionsphase angehäuft hatten. 2001 bestanden sie in steigenden Aktienkursen während des Dotcom-Booms und in den Jahren 2007/08 im übermässigen Fremdkapital auf dem Finanzsektor nach dem Subprime-Hypothekenboom. Obwohl diesen Rezessionen Leitzinserhöhungen des Fed vorausgegangen waren, handelte es sich dabei nicht um die Antwort auf eine Inflation über dem Zielwert, sondern um Versuche einer Normalisierung der Geldpolitik, bevor die Inflation tatsächlich in Gang kam.

Höhere Zinsen unwahrscheinlich

Heute liegt die Inflation immer noch unter dem Zielwert des Fed, und eine vorzeitige geldpolitische Straffung ist (aus unterschiedlichen Gründen) noch nicht einmal in Sicht. Als das Fed 2018 mit der Anhebung der Zinsen begann, intensivierte die Regierung von Präsident Donald Trump ihren Handelskrieg. Nachdem die Märkte Ende 2018 ins Stocken geraten waren, machte das Fed einen Rückzieher. Da ein umfassendes Abkommen zur Lösung des Handelskriegs nicht in Sicht ist und derzeit ein formelles Amtsenthebungsverfahren gegen Trump eingeleitet wird, ist es unwahrscheinlich, dass das Fed bald eine straffere Geldpolitik verfolgt.

Ausserdem hat Trump deutlich gemacht, dass er im Fall einer Rezession dem Fed die Schuld in die Schuhe schieben wird. Das Kalkül des Fed besteht darin, dass es die Risiken für seine Reputation durch eine etwas höhere Inflation geringer einschätzt als die Gefahren im Zusammenhang mit einem Abschwung nach einer Zinsanhebung. Deswegen ist das Fed vorerst nicht geneigt, die Zinsen anzuheben. Stattdessen hat es 2019 die Zinsen drei Mal gesenkt, um sich gegen einen Abschwung «abzusichern». Ausserdem hat es betont, dass sein Inflationsziel «symmetrisch» sei. Das heisst, es wäre bereit, eine Phase über dem Ziel liegender Inflation in Kauf zu nehmen, weil es in den vergangenen Jahren vor den Interventionen das Ziel unterschritt.

Wenn es also unwahrscheinlich ist, dass höhere Zinsen der Auslöser für die nächste Rezession sein werden, wie steht es dann mit Finanzexzessen? Betrachtet man die Situation, erkennt man sicher Bereiche mit hohen Vermögenswertpreisen und einem hohen Grad an Fremdkapital wie etwa bei Private-Equity-Geschäften. Der Internationale Währungsfonds hat vor beträchtlichen finanziellen Problemen der Unternehmen gewarnt, sollte sich das Wachstum erheblich verlangsamen. Dennoch sind weit verbreitete Probleme schwer zu erkennen, wenn die Zinsen niedrig bleiben und die Liquidität weiterhin reichlich vorhanden ist.

China und Trumps Chancen auf eine Wiederwahl

Irgendwann wird sich das Wachstum freilich verlangsamen, oder die Zinsen werden steigen, und die Liquidität wird sich verschlechtern. Wenn das eintritt, werden finanzielle Vermögenswerte erhebliche Kursverluste erleiden, und es wird Unternehmen schwerfallen, ihre Schulden zu refinanzieren. Darüber hinaus ist festzustellen: Je länger die Phase leichter Finanzierung andauert, desto höher wird die Zahl der von Finanzexzessen betroffenen Sektoren sein und desto höher auch das Risiko, dass sie einen Abschwung auslösen. Doch angesichts anhaltend akkommodierender geldpolitischer Bedingungen ist es vorerst wahrscheinlicher, dass Finanzexzesse den letztlich eintretenden Abschwung eher verschärfen und die Erholung bremsen, als dass sie die Ursache eines ökonomischen Winters sein werden.

Die Frage lautet also, was den Verbrauch zum Erliegen bringen wird, der das Wachstum derzeit stützt. Eine Antwort sind Entlassungen. Wodurch könnten sie ausgelöst werden? Durch eine weitere Eskalation des Handelskriegs – beispielsweise wenn die USA Zölle auf europäische und japanische Autos erheben würden. Aus heutiger Sicht ist es unwahrscheinlich, dass während der verbleibenden Amtszeit dieser US-Regierung ein umfassendes chinesisch-amerikanisches Handelsabkommen abgeschlossen wird. Zwischen Chinesen und Amerikanern besteht wenig Vertrauen, und es fällt schwer, sich vorzustellen, dass China der aufdringlichen Überwachung zustimmt, die notwendig wäre, um einige der Massnahmen zu überprüfen, die es nach den Wünschen der USA ergreifen sollte.

Darüber hinaus lastet wohl die Möglichkeit, dass ein Abkommen Trumps Wiederwahlchancen im Jahr 2020 stärkt, zunehmend schwer auf den Verhandlungen. Möchten die Chinesen weiterhin mit Trump zu tun haben, oder wäre ihnen ein Demokrat lieber (der womöglich nicht weniger protektionistisch agiert)?  In jedem Fall wird die Unsicherheit hinsichtlich des Handels in absehbarer Zukunft fast sicher die Investitionen – und damit das Wachstum – dämpfen.

Geopolitische Risiken

Ein zweiter möglicher Auslöser ist das geopolitische Risiko. Ein Beispiel dafür erlebten wir im September, als saudi-arabische Ölanlagen bei einem nächtlichen Drohnenangriff getroffen wurden. Die offensichtliche Anfälligkeit der saudischen Ölförderung bringt einen neuen Unsicherheitsfaktor in die globalen Aussichten. Der zunehmend bedrängte Iran scheint eine deutliche Warnung auszusenden: Wenn er zusammenbricht, dann wird er Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate mit sich reissen. Die Hardliner in der iranischen Regierung wurden durch den Rückzug der Trump-Administration aus dem Atomabkommen des Jahres 2015 gestärkt und durch die jüngsten unbeantworteten Akte der Aggression ermutigt. Obwohl die Saudis seither ihre Verhandlungsbereitschaft gegenüber dem Iran bekundeten, bleibt das Risiko eines regionalen Flächenbrandes weiter erhöht.

Ein Anstieg des Ölpreises könnte die Weltwirtschaft in eine Rezession stürzen. Eine derartige Entwicklung würde mit Sicherheit das verfügbare Einkommen der Verbraucher verringern, die Stimmung schwächen und die Investitionen weiter dämpfen. Die möglichen inflationären Folgen würden den Zentralbanken wenig Raum für eine weitere Akkommodation lassen.

Zwar sind Rezessionen naturgemäss unvorhersehbar, doch besteht die grösste kurzfristige Bedrohung für die Wirtschaft nicht in steigenden Zinsen oder verschiedenen Finanzexzessen, sondern in unvorhergesehenen Ereignissen in Bereichen wie Handel oder Geopolitik. Gäbe es auf der Welt weniger Personen, die den starken Mann markieren, wäre die Weltwirtschaft weit robuster, als sie es ist. Leider befinden sich die meisten autoritären Staatenlenker von heute in ihrer Position, weil die Wähler sie dorthin gebracht haben. Aber das ist ein anderes Thema.

Copyright: Project Syndicate.

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