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dpa/Bernd Von Jutrczenka/dpa Morgen Abend wird bekanntgegeben, welches Kandidatenpaar den Kampf um die SPD-Spitze gewonnen hat. Olaf Scholz (l-r) und Klara Geywitz oder Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken .

Margarete van Ackerens Berliner Woche: Droht nach SPD-Wahl wirklich das Groko-Aus? Selbst linkes Duo bekommt Muffensausen

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Morgen um 18 Uhr sind die Stimmen ausgezählt. Dann steht fest, ob Olaf Scholz mit Klara Geywitz oder Norbert Walter-Borjans mit Saskia Esken das Rennen um die SPD-Spitze gemacht hat. Es geht um den Kurs der SPD, die Zukunft der GroKo und Angela Merkels Kanzlerschaft. Doch vor Naivität wird gewarnt. So schnell wird sich keiner trauen, die GroKo zu beenden. Keiner. Versprechen hin oder her.

Die Sache ist schnell gemacht. Nur den richtigen Stein anstoßen und schon kommt das Super-Domino in Gang. Ein Kreuz für Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken bei der Wahl der neuen SPD-Spitze, und eine Mehrheit für die beiden bringt den nächsten Stein in Bewegung. Die SPD kippt auf die linke Seite. Der folgende Stein bringt bald die Große Koalition ins Trudeln, die stürzt und die Kanzlerschaft Angela Merkels wackelt. Eine richtige Kaskade kommt in Gang, Neuwahlen werden irgendwann unvermeidlich.

Es sind solche Bilder, die Träume freisetzen bei manchen Sozialdemokraten: Wann konnte man je, ob digital oder analog, mit einem einzigen Kreuz so viel bewegen! Tschüs GroKo, ciao Merkel – das SPD-Paradies ist nah.

Das ist die Erwartung mancher Sozialdemokraten – jedenfalls vieler, die auf das Duo Walter-Borjans-Esken setzen. Die beiden haben bei ihren Genossen solche Hoffnungen fleißig genährt.

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FOCUS Online Margarete van Ackerens Berliner Woche

 

In der SPD gibt es zwei Lager. Nur vermeiden fast alle auszusprechen, dass es sie gibt. Das eine setzt auf das Team um Walter-Borjans, das andere auf Bundesfinanzminister Olaf Scholz, der mit Klara Geywitz antritt.

SPD-Beglückungs-Treffen

Monatelang berauschte sich die SPD an sich selbst. Die Regionalkonferenzen für die Kandidatenkür wurden zu Festivals der Selbstvergewisserung. Quasi im Viertelstundentakt wurde die Parole ausgegeben „Wir werden uns unterhaken“, „Wir müssen uns unterhaken“. Manche meldeten auch schon Vollzug: „Wir haben uns untergehakt“. Nur wenige Wochen, nachdem Andrea Nahles zum Aufgeben getrieben wurde, sangen die Sozialdemokraten das hohe Lied der Solidarität. Sie erfreuten sich am Gefühl des neuen (alten) Zusammenhalts. Lager-Gedanken wollte da erstmal niemand aussprechen.

Die Jusos haben immer klar gemacht, sie wollen raus aus der Großen Koalition, „raus aus der neoliberalen Pampa“. Ihr Vorsitzender Kevin Kühnert, dessen hohe analytische Intelligenz auch seine erbittertsten Kritiker schätzen, gibt seit Monaten den Einpeitscher. Er bläut seinen Leuten ein, dass die Eigentumsverhältnisse in diesem Land grundlegend anders sortiert werden müssen, ob es um Renten, Löhne oder Wohnungen geht. Für sein Projekt „Linkswende Sozialdemokratie“ erscheinen ihm Walter-Borjans und Esken als passende Partner. Da macht es Kühnert sauer, „dass sich die gesamte Parteiprominenz in diesen Tagen hinter Olaf Scholz und Klara Geywitz versammelt“. Tut sie das?

Arbeitslosenversicherung für SPDler

Kühnerts Vorwurf ist ebenso richtig wie falsch. Im Stillen hoffen die meisten Promis in der Tat, dass ihnen Walter-Borjans und Esken erspart bleiben.

Ein simpler Grund: Das Duo gefährdet mittelfristig ihren Arbeitsplatz. Sie fürchten, dass Walter-Borjans und Esken schon beim ersten Anlass Druck aus der Partei bekämen, aus der GroKo auszusteigen. Haben sie schließlich versprochen. Minister müssten womöglich aus der Regierung aussteigen, und einem Viertel der Abgeordneten drohte – nach heutigen Rechenspielen – nach möglichen Neuwahlen das Aus. So betrachtet wären Finanzminister Olaf Scholz und Klara Geywitz als Führungsteam der SPD fürs erste eine Arbeitslosenversicherung für viele Parteifreunde.

Klar, dass diese Parteifreunde auch an sich selbst denken. Und viele haben auch wichtige laufende Projekte im Blick, von denen die Grundrente und das Klimapaket nur die größten sind. Wer in diesen Tagen mit älteren Sozialdemokraten redet, die sich selbst keine Karrierechancen mehr ausrechnen, bekommt aber auch mit, dass einige wirklich in Sorge sind. Eben nicht um sich selbst, sondern um die SPD und – ganz ernsthaft – auch um das Land.

Nur: Offen für Scholz und Geywitz geworben haben die meisten Promis eben gerade nicht. Nur hat Ex-Parteichef Martin Schulz zuletzt intern durchblicken lassen, dass er das Doppel Walter-Borjans-Esken für dilettantisch  hält Scholz selbst entdeckt mehr denn je den Genossen Olaf in sich, gibt sich locker wie selten zuvor, verspricht Kommunen Hilfe bei der Entschuldung, und erinnert daran, dass er schon vor vielen Jahren für die Sache der Frauen gekämpft hat. Familienministerin Franziska Giffey wirbt für ein neues Kindergeld-Modell, Justizministerin Christine Lambrecht fordert schärfere Strafen bei Antisemitismus, Umweltministerin Svenja Schulze lobt den Wert günstigerer Bahnpreise.

Kampf gegen Minderwertigkeitsgefühl

Sie alle signalisieren immer und immer wieder: Wir machen unseren Job. Wir stehen für eine Mehrwert-Koalition, eine, die ohne die SPD ärmer und unsozialer wäre. Und Fraktionschef Rolf Mützenich versucht mit einem Mix aus Unions-Schelte und SPD-Lob die Wut mancher Sozialdemokraten auf die GroKo zu kanalisieren.

Dieses Minderwertigkeitsgefühl vieler Sozialdemokraten ist seltsam. Denn jede simple Strichliste könnte belegen: Wenn ein Partner in dieser Koalition richtig viel bewegt hat, dann war es die SPD. Die miese Stimmung aber begleitet die Partei seit Monaten.

Hoppla, wir haben die SPD marginalisiert?

Wenn sich die politische Statik eines Landes verändert, muss das nicht per se schlecht sein. Wenn aber ein solcher Prozess fahrlässig angestoßen wird, ist das bedenklich: Huch, wir haben die GroKo geschreddert, Hoppla, wir haben die SPD marginalisiert? Manchen wurde es zwischenzeitlich mulmig angesichts der Ansagen von Walter-Borjans und Esken. Eine SPD, die ihre Zukunft im Schulterschluss mit den Linken in einer Regierung unter Grünen-Führung sieht? Mittlerweile haben sie auch in deren Lager Muffensausen bekommen. Da ist fast keiner mehr, der erwartet, dass die beiden den schnellen GroKo-Ausstieg im Falle eines Sieges von sich aus vorantreiben.

Dass Esken vollmundig erklärte, wenn die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer nicht zu einer Überarbeitung des Koalitionsvertrages bereit sei, sei das Bündnis eben am Ende, haben viele für einen schweren strategischen Fehler gehalten. Dass Walter-Borjans gesagt hat, die SPD müsse keinen Kanzlerkandidaten benennen, wenn sie bei der Wähler-Zustimmung nicht zulege, erst recht.

Nikolaus ohne Bescherung in Sicht

„Am Nikolaus ist GroKo Aus“, reimte zuletzt noch fröhlich Bayerns Juso-Vorsitzende. Sie hat den 6. Dezember, den Start des SPD-Parteitags, im Blick. Der Stratege Kühnert gibt sich da längst vorsichtiger: „Wenn wir das machen würden – das wäre ziemlich dämlich.“ Das Duo Walter-Borjans-Esken hat sich also eine dicke Hypothek aufgeladen. Sollten die beiden den Sieg schaffen, würden viele Mitglieder den schnellen GroKo-Ausstieg oder einen radikal anderen GroKo-Kurs von ihnen erwarten. Die aber würden sie kaum erfüllen. Stellt euch vor, es ist Nikolaus, und es gibt nichts Süßes.

Die Nervosität wächst. Bei allen. Bis heute um Mitternacht können die etwa 430.000 SPD-Mitglieder ihre Stimme abgeben. Die Sehnsucht nach einem harten Schnitt ist zwar groß. Die meisten aber gehen von einem Sieg des Scholz-Teams aus. Sicher ist da allerdings niemand. Selbst gestandene Sozialdemokraten wagen keine Prognose. Und so machen sie, was alle machen: warten auf Samstagabend 18 Uhr, auf die Bekanntgabe des Ergebnisses.

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