Globaler Klimastreik
"Fridays for Future" zwischen Hoffnung, Ratlosigkeit und Wut
by Anna CorvesSeit Monaten demonstrieren Kinder und Jugendliche weltweit für mehr Klimaschutz. Doch mittlerweile stellt sich einigen die Sinnfrage. Politiker handeln ihnen zu langsam. Sollen sie aufhören? Weitermachen? Oder doch einen radikaleren Weg einschlagen? Von Anna Corves
Freitag, 15. November. Um 10:57 Uhr ploppt auf dem Handy eine Eilmeldung auf: Der Bundestag beschließt sein Klimaschutzgesetz. "Klimapäckchen" nennen sie es auf der Demonstration von "Fridays for Future" spöttisch. Oder auch: einen Skandal. "Streik in der Schule, Uni und Betrieb – das ist unsere Antwort auf eure Politik", schallt der Sprechchor durch Berlins Mitte.
Vier kleine Demonstrationszüge laufen sternförmig auf den Invalidenpark zu. Hier, nahe des Wirtschafts- und des Verkehrsministeriums, wo sich vor ein paar Monaten noch Tausende getroffen hatten, frösteln nun etwa 250 junge Leute im nasskalten Novemberwetter, die meisten Teenager oder Studierende.
Ein Junge schlängelt sich durch die Menge. Er hat eine Papprolle umgehängt, die halb so groß ist wie er selbst. "Willst du was spenden?", fragt er keck. Jim ist neun Jahre alt und sammelt Geld für "Fridays for Future". Demos organisieren, Flyer drucken, das kostet ja was. Er komme jeden Freitag her, es sei denn, er sei krank oder völlig K.o., wie er sagt. Seine Mutter unterstütze ihn, die Grundschule sei nicht so streng. Jim findet den Klimaschutz wirklich wichtig. Dafür, dass man das auch überall höre, kämen aber nicht genug Menschen zur Demo. "Das macht mich traurig, ich bin auch enttäuscht von den Leuten."
Die Überzeugten und Optimisten demonstrieren weiter
Tatsächlich nimmt bundesweit die Zahl der Teilnehmer an normalen Freitag zusehends ab. Trotzdem bringt "Fridays for Future" nach eigenen Angaben jede Woche im ganzen Land weiterhin mehrere Tausend Menschen auf die Straße. Eins wird klar, wenn man mit den Umstehenden spricht: Wer im November 2019 noch hier steht, ist nicht etwa notorischer Schulschwänzer, wie manche Kritiker monierten. Es sind die Überzeugten und die Optimisten.
Parvati Smolka hält mit ein paar anderen Mädchen ein großes Transparent hoch. "Klimakrise - Halt Stopp!" steht darauf. Sie sind 15. In dem Alter also, da Gallionsfigur Greta Thunberg, vor dem schwedischen Reichstag ihren "Skolstrejk för Klimatet" begann. Mit diesem ersten Schulstreik fürs Klima legte Thunberg weltweit den Grundstein für "Fridays for Future".
In Berlin hat Parvati miterlebt, wie die Bewegung gewachsen ist, mit unzähligen Ortsgruppen und AGs. Andere ließen sich davon inspirieren: "Omas for Future", "Scientists for Future" und "Entrepreneurs for Future" wurden gegründet und schlossen sich mit der Hauptbewegung zusammen. Universitäten öffneten ihre Tore und boten Vorlesungen zu Klimathemen an. Parvati nutzt all diese Möglichkeiten, hat dabei viel gelernt: "Man wird super motiviert, sich zu informieren, ich lese zu Hause auch nach, wenn ich was nicht verstanden habe." Sie hat durch die Bewegung viele neue Freunde gewonnen, Gleichgesinnte. "Fridays for Future" bedeutet ihr viel. Das Klima erst recht: "Ich bin sehr naturbezogen, oft auf dem Land. Der Klimawandel ist eine Katastrophe."
Dass heute nicht so viele zur Demo gekommen sind, demotiviert sie nicht sonderlich. Ein dickes Fell braucht sie eher gegenüber manchen Klassenkameraden, die gerne mal Sprüche ablassen. "Die sagen: 'Wie, du gehst da immer noch hin? Das gibt’s noch?' Die setzen da keine Hoffnung rein. Das merkt man." Wenn sie sich stark genug fühlt, versucht sie dagegenzuhalten und andere zu überzeugen.
"Es gibt bei uns eine Diskussion, ob wir es lassen sollen"
Ortswechsel: das Hauptgebäude der Technischen Universität. Hier trifft sich jeden Dienstagabend das "Fridays for Future"-Plenum; vor allem Leute, die auch in Orts- oder Arbeitsgruppen eingebunden sind. Aber letztlich kann jeder kommen - ein Kernprinzip der Bewegung. Etwa Hundert Interessierte sind heute da, bereit zuzupacken.
Drei Tage vor dem globalen Klimastreik laufen die Absprachen heiß – ein riesiger Stapel Plakate muss noch verteilt, das Hochhalten des Front-Transparents geübt werden. In zahllosen Chat-Gruppen wird für den Freitag mobilisiert. Franziska Wessel ist in fast alles eingebunden. Die 15-Jährige ist einer der bekannteren Mitorganisatoren in Berlin. Neben der Schule ist das ein unbezahlter Vollzeitjob.
Franziska hätte allen Grund, stolz zu sein: Immerhin hat die Bewegung ein Maximum an Aufmerksamkeit für das Klima-Thema erreicht. Und doch stellt sie sich immer öfter die Sinnfrage: "Wir haben langsam das Gefühl, dass wir jeden Freitag da stehen und es nichts bringt." Seit elf Monaten steckten sie so viel Arbeit in die Bewegung. Langsam mache sich bei ihr Politikverdrossenheit breit. "Es gibt bei uns eine Diskussion, ob man es lassen soll mit dem Demonstrieren", sagte sie.
"Vielleicht muss man einen Schritt weiter gehen?"
Es mache sie fassungslos, dass die Politiker keine strengeren Klimaschutzgesetze verabschiedet haben. Schließlich forderten sie keine abwegigen Maßnahmen, sondern einfach nur die Einhaltung bestehender Verträge wie des Pariser Klimaabkommens.
In der Bewegung würden sich viele gerade überlegen, sagt Franziska, ob sie sich privat nicht bei "Extinction Rebellion" oder "Ende Gelände" engagieren sollen. Klima-Protestgruppen, die auf drastischere Methoden setzen, auf vehementen zivilen Ungehorsam. Mit Straßenblockaden zum Beispiel haben sie Aufmerksamkeit erregt; allerdings auch viele Bürger verärgert. "Ich überlege auch, ob ich einen Schritt weitergehe", sagt Franziska, "Aber dann hat man auch wieder weniger gesellschaftlichen Rückhalt. Ich weiß es nicht". Einen letzten kleinen Rest Hoffnung auf eine politische Wende habe sie noch. Aber der schwinde.
"Auf das Durchhaltevermögen kommt es jetzt an!"
Zurück auf die Straße. Die letzte Kundgebung vor dem globalen Klimastreik. Etwa 150 Demonstrierende sind da. Der harte Kern. Auch die 15-jährige Parvati ist wieder da. Eigentlich wollte sie diesmal nicht kommen, da sie dringend mal wieder Präsenz bei ihren Lehrern zeigen müsse. Sie hat ihrer Mutter weiterhin gute Noten versprochen.
Vorhin war sie auch in der Schule, erzählt sie, aber zumindest kurz musste sie doch bei der Demo vorbeischauen. Alles andere hätte sich falsch angefühlt. "Jetzt kommt es auf das Durchhaltevermögen an, damit die Leute sehen: Denen ist es wirklich wichtig. Die gehen nicht weg."
Sie hofft, dass sich die Hartnäckigkeit auszahlt, dass die Politiker doch noch ihren Kurs ändern. Oder dass sich eine andere Gruppe herauskristallisiert, die mehr Macht als "Fridays for Future" hat und sich für die Umwelt einsetzt, sagt Parvati. Kurzfristig hofft sie erstmal auf den globalen Klimastreik am letzten Freitag im November, darauf, dass viele Leute kommen. Und wenn nicht? "Dann machen wir trotzdem weiter. Aber eigentlich habe ich große Hoffnung und Vorfreude."
Sendung: Inforadio, 29.11.2019, 6 Uhr