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Homöopathie, Grüne: Diese Reizworte reichen für einen Shitstorm und um eine wissenschaftliche Debatte über Ersatz von Antibiotika unmöglich zu machen.© Verwendung weltweit
Medizin

Wenn die Debatte über Homöopathie zum Shitstorm führt

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Kann Homöopathie Antibiotika ersetzen? Allein die Frage zu stellen, löst einen Shitstrom aus. Es ist höchste Zeit die Freiheit der Rede zu überdenken. Der Kommentar.

Fakt ist: Es werden zu viele Antibiotika eingesetzt. CSU und Freie Wähler stellen im Bayerischen Landtag einen Antrag, um Alternativen prüfen zu lassen. Diesem konservativen Vorschlag stimmen die Grünen zu. Daraus entwickelt sich ein Paradebeispiel für den Kommunikationsirrsinn unserer Zeit. Aus dem vielseitigen Antrag greift die SPD den Nebensatz heraus, dass auch geprüft werden solle, ob Homöopathie wirksam ist – und verbindet dies mit der grünen Zustimmung.

Reizkombination - „Homöopathie“ und „Grüne“

Und was geschieht dann? „Homöopathie“ und „Grüne“ reichen als Reizkombination, um jede Diskussion unter einem Meer an Beleidigungen zu begraben.

In diesen Tagen wird viel über die Meinungsfreiheit diskutiert. Dabei wird Freiheit ausschließlich so definiert: Hasser dürfen per Gericht bestätigt verbreiten, dass die eine Politikerin eine „Drecksfotze“ sei, der andere ein „Ziegenficker“. Jeder darf Medien, die darüber berichten, pauschal als „Lügenpresse“ verunglimpfen.

Ist das der Kern der Freiheit? Dass wir den Müll so, wie er aus unseren Eingeweiden hochquillt, in den Mund nehmen und aussprechen? Noch bevor er durch Hirn und Herz gefiltert wurde? Es ist höchste Zeit, unseren Freiheitsbegriff zu überdenken.

„Impfen“, „Homöopathie“ und „Klima“ - und die Emotionen explodieren

„Zwischen Reiz und Reaktion gibt es einen Raum. In diesem Raum haben wir die Freiheit und die Macht, unsere Reaktion zu wählen. In unserer Reaktion liegen unser Wachstum und unsere Freiheit.“ Diese Sätze des Wiener Therapeuten Viktor Frankl stellen dem derzeitigen Wortwahnsinn ein anderes Menschenbild entgegen: Wir brauchen Selbstdistanz, um heilsam zu leben.

Längst ist die Diskussion, speziell im Internet, neurotisch geworden. Früher reichte es, das Wort „Asylant“ zu veröffentlichen, um eine Lawine auszulösen. Heute kommen immer schneller neue Begriffe dazu: „Impfen“, „Homöopathie“ und „Klima“ lassen die Erregung sofort explodieren.

Frankl hat eine Methode entwickelt, die individuell gegen die roten Knöpfe wirkt: Dereflexion. Also die Fähigkeit, ein Symptom auch einmal nicht zu beachten und den Geist auf ein lohnenderes Ziel zu richten. Diese Methode könnte auch den kranken gesellschaftlichen Diskurs heilen. Als lohnende Ziele bieten sich an: Solidarität, Gerechtigkeit, inneres Wachstum. Wie sähen öffentliche Diskussionen aus, würden die Worte vorher durch das Gittersieb der Humanität gefiltert?

Wir haben keine Meinungsfreiheit, nur weil wir uns beleidigen dürfen. Wir sind erst frei, wenn wir die Zündschnur zwischen Reiz und Reaktion kappen und den Raum dazwischen nutzen, um zu entscheiden, was wirklich wert ist, nach außen zu treten.