Spieltheorie-Kolumne

Wohlstand per Parteitagsbeschluss? Warum die Höhe des Mindestlohns begrenzt werden muss

Höhere Löhne sorgen für mehr Kaufkraft – oder? In Extremfällen sorgt ein Mindestlohn sogar für das Gegenteil. Es braucht dynamische, intelligente Ansätze.

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Mindestlohn

In der Politik werden die Forderungen nach einer Anhebung lauter.(Foto: dpa)

Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis tanzen. Es ist beängstigend, was zehn Jahre ungebrochener Aufschwung in den Köpfen der Menschen in Sachen Verhältnismäßigkeit angerichtet hat. Der Parteitag der Grünen hat die Abschaffung der Erwerbsarmut durch eine Erhöhung des Mindestlohns um 30 Prozent beschlossen. Die Linke und die SPD sind ohnehin dafür, aber auch von wesentlichen Teilen der CDU kam Beifall.

Nun ist es in der Tat so, dass man in den boomenden deutschen Großstädten mit dem bisherigen Mindestlohn von 9,19 Euro pro Stunde jeden Monat ums finanzielle Überleben kämpft. Ich kenne niemanden, der hart arbeitenden Menschen nicht ein auskömmliches Leben gönnt.

Gerade Anhänger der Leistungsgerechtigkeit sollten jenen Menschen Respekt zollen, die auf Sozialhilfe verzichten und für nur etwas mehr Geld im Monat einen Knochenjob annehmen. Wenn sich jedoch unschöne Realitäten so einfach per Gesetz beseitigen ließen, würde ich gerne auch noch ein paar Anträge einbringen.

In den Statistiken steht Deutschland als Niedriglohnland, da mehr als 22 Prozent der Arbeitnehmer weniger als zwei Drittel des mittleren Einkommens verdienen. In einem Land, in dem Fließbandarbeiter mehr verdienen als viele Ingenieure im Rest Europas, ist das immer noch verdammt attraktiv.

Es gibt eben extreme regionale Unterschiede. Es macht wenig Sinn, eine Friseurgehilfin in Ostbrandenburg mit ihren Berufskollegen in den 500 Kilometer entfernten süddeutschen Boomregionen zu vergleichen, wenn die eigentlich relevante Referenzgruppe die 50 Kilometer entfernten polnischen Nachbarn sind. So macht man die Frau bewusst zum Opfer – ein perfektes Konjunkturprogramm für Populisten von Links und Rechts. 

Ein Mindestlohn wirkt wie ein Magnet

Als Ökonom und Spieltheoretiker bin ich einem intelligenten Mindestlohn gegenüber durchaus aufgeschlossen. Marktwirtschaftler mögen keine Marktmacht. Arbeitnehmer organisieren sich immer weniger, und deshalb können Arbeitgeber in manchen Regionen und Branchen ihre Verhandlungsmacht bei der Festsetzung der Löhne missbrauchen. Ein intelligenter und perfekt gesetzter Mindestlohn wirkt dem entgegen. Er entfaltet eine Magnetwirkung, da er in Verhandlungen als Referenzpunkt wirkt oder gleich ganz zum Verhandlungsersatz wird.

Aber eben „intelligent“ und „perfekt gesetzt“. Dazu ein Gedankenexperiment: Nehmen wir an, der Mindestlohn von zwölf Euro gilt auch für Länder in Afrika, zum Beispiel für jemanden aus Mosambik, dessen Mindestlohn momentan unter zwei US-Dollar pro Tag liegt. Das Ergebnis wären Hyperinflation, Massenarbeitslosigkeit und Aufstände.

Der „Magnet“ ist zu weit entfernt vom lokalen Marktpreis-Niveau für Arbeit, um effektiv zu sein. Unternehmen würden zu dem erzwungenen Lohn keine Beschäftigten mehr einstellen – der Mindestlohn käme einem staatlich verordneten Beschäftigungsverbot gleich.

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Marcus Schreiber

Marcus Schreiber ist Gründungspartner und Chief Executive Officer bei TWS Partners.(Foto: TWS Partners)

Gut, vielleicht ist Afrika in dem Gedankenexperiment übertrieben. Nehmen wir stattdessen Rumänien, ein Land des EU-Binnenmarkts: Auch dort bräche die Wirtschaft bei einem unangemessenen Mindestlohn sehr schnell zusammen. Polen? Ostdeutschland im ländlichen Raum?

Zwölf Euro Mindestlohn wären definitiv ein wirksamer Beitrag zur weiteren Verödung des ländlichen Raums in ganz Deutschland. Schon jetzt schließen massenweise Geschäfte und Wirtschaften. Zwölf Euro pro Stunde für die Servicekraft sind von einem Gaststättenbetreiber bei einem Bierpreis von 1,70 Euro eben nur schwer zu erwirtschaften.

Das Problem sitzt tiefer, es sitzt im Misstrauen in Märkte – in diesem Fall in den wichtigsten Markt von allen, den Arbeitsmarkt. Statt punktuelle Schwächen im Markt zu beseitigen, beginnt die Politik, wie schon mit der Mietpreisbreme im Wohnungsmarkt, Sozialpolitik über die Preise zu machen. Ein wesentlicher Wert von Märkten ist, dass sie als Informationsbörsen fungieren, und der Arbeitsmarkt schreit derzeit förmlich: „Der Markt für ungelernte Arbeiter ist Mist.“

Wenn die Politik eingreift und die Löhne drastisch erhöht, verändert sie die Botschaft in „Wir kümmern uns, es wird schon nicht so schlimm!“ Doch, ungelernt zu sein ist ein Riesenproblem, und es wird mit Digitalisierung und Automatisierung nicht besser.

Es gibt sinnvolle Alternativen zum Mindestlohn

Was also tun, wenn wir als Gesellschaft der Ansicht sind, es sei nicht gerecht, dass viele von ihrer Arbeit kaum leben können? Die Hartz-IV-Reformen sollten Anreize schaffen, aus den sozialen Auffangsystemen wieder in den Arbeitsmarkt zu gelangen. Dies passierte, indem Nicht-Arbeiten unattraktiver gemacht wurde.

Die zweite Hälfte der Gleichung, nämlich das Arbeiten lohnender zu machen, kam zu kurz. Das Gerechtigkeitselement in unserem Steuersystem ist das Leistungsfähigkeitsprinzip. Aber Niedrigverdiener zahlen Rentenbeiträge, ohne ihre Rentenansprüche nennenswert über das Sozialhilfeniveau zu heben. Das ist ökonomisch gesehen nichts anderes als eine Steuer für Geringverdiener.

Im Zuge der Hartz-IV-Reformen sind rund fünf Millionen Niedriglohnarbeitsplätze entstanden. Dies hat die Steuer- und Sozialkassen grob geschätzt um 50 Milliarden Euro aufgebessert. Die Regierung hat es aber versäumt, dieses Geld gezielt in die Entlastung der Niedrigverdiener zu investieren. Negative Einkommensteuersätze und Beitragsfreibeträge in der Rentenkasse aber würden die Anreize zum Eintritt in den Arbeitsmarkt deutlich erhöhen und einen wesentlichen sozialen Beitrag leisten.

„Wenn die Ebbe kommt, sieht man, wer ohne Badehose geschwommen ist“, ist einer von Warren Buffetts berühmten Sprüchen. Erst im Abschwung werden wir sehen, ob nicht schon der bisherige Mindestlohn die Arbeitslosigkeit erhöht.

Als Kanzlerin Merkel die Kritik der Sachverständigen zurückwies, „der Arbeitsmarkt würde ja beweisen, dass ein Mindestlohn nicht schade“, erinnerte mich der Populismus dieser Aussage an Donald Trump, der in einem kalten New Yorker Winter per Twitter fragte, wo die Klimaerwärmung denn endlich bleibe.

Mehr: Beim Klimaschutz soll sich alles ändern, ohne dass es weh tut – das Ergebnis ist fatal. Die Spieltheorie-Kolumne.