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Die Staatskanzlei (im Hintergrund) ist die Machtzentrale, die Holger Stahlknecht erobern möchte.Foto: Imago
Kampf um Führungsrolle

Wird Causa Wendt Holger Stahlknecht zum Verhängnis?

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   •  Das Personaldebakel ist nicht seine erste Pleite: Nach der Wendt-Affäre muss CDU-Landeschef Stahlknecht um seine Führungsrolle kämpfen.
   •  Entziehen ihm seine Parteifreunde nun das Vertrauen?

Magdeburg - Am Abend des 5. September 2018 weiß Holger Stahlknecht, dass er jetzt ganz oben mitspielt. Alles, was wichtig ist in Sachsen-Anhalt, hat sich in der Berliner Landesvertretung versammelt. Bei der alljährlichen Kultursommernacht gibt es Häppchen und Musik, auch Angela Merkel ist gekommen. Irgendwann ziehen sich die Kanzlerin und der Landesinnenminister zu einem Gespräch zurück.

Offenbar möchte Merkel den Mann kennenlernen, der im Herbst CDU-Landesvorsitzender werden will und eines Tages Ministerpräsident Reiner Haseloff ablösen könnte. Mehr als 20 Minuten hätten die beiden miteinander geredet, heißt es später stolz aus Stahlknechts Umfeld. Für den früheren Ortsbürgermeister des Börde-Dorfs Wellen ist es der Ritterschlag.

Stahlknecht hat Probleme

Von diesem glücklichen Sommerabend könnte Stahlknecht heute nicht weiter entfernt sein. Bis zum Hals steckt der CDU-Landeschef in Problemen und von Merkel ist keine Unterstützung zu erwarten. Im Gegenteil: Das Kanzleramt soll Stahlknecht eine wichtige Personalentscheidung aus der Hand genommen haben. Das behauptet jedenfalls Rainer Wendt, Deutschlands bekanntester und umstrittenster Polizist.

Stahlknecht wollte den Gewerkschaftschef zum Innenstaatssekretär machen, musste den Plan aber nach einem Proteststurm der Koalitionspartner SPD und Grüne nach nur zwei Tagen aufgeben. Wendt habe zurückgezogen, verbreitete Stahlknecht am Sonntagabend. Stahlknecht habe ihn fallenlassen, konterte Wendt. Der Minister habe ihn sogar aufgefordert, über die Umstände der geplatzten Ernennung die Unwahrheit zu sagen. Aussage steht gegen Aussage.

In der CDU brennt seither die Luft. Minister, Abgeordnete, einfache Parteimitglieder wollen wissen, wie es nun wirklich war. Sie erwarten, dass Stahlknecht Wendts Aussagen dementiert. Doch das geschieht nicht. Der Vorsitzende taucht ab. Keine Pressemitteilung, keine Pressekonferenz, kein Interview - die ganze Woche kommt nichts. In der Partei gebe es ein „Informationsinteresse“ sowie „Unmut verschiedenster Art und der wächst auch“, sagte CDU-Generalsekretär Sven Schulze bereits am Dienstag.

Die Gegner hatten Zeit zum Planen

Mittlerweile geht es für Stahlknecht um das politische Überleben. An diesem Freitag um 11 Uhr versammelt sich im Saal B 005 des Landtags die CDU-Fraktion. Hochrangige Parteifunktionäre schließen nicht mehr aus, dass es zur Revolte kommt. Unter den Abgeordneten sind zahlreiche Stahlknecht-Gegner. Die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Ulrich Thomas und Lars-Jörn Zimmer werden dazu gezählt, der Parlamentarische Geschäftsführer Markus Kurze ebenso. Sie haben zuletzt auch viel Zeit miteinander verbracht: Mit drei weiteren CDU-Abgeordneten waren sie auf Dienstreise in Südtirol unterwegs.

Dass Stahlknecht in der Krisensitzung nicht auf Rücksicht, nicht einmal auf bürgerliche Umgangsformen hoffen darf, zeigen Vorab-Wortmeldungen. Stahlknecht und Haseloff hätten im Fall Wendt „dicke Backen“ gemacht, „um zu posen“, dann aber gekniffen, sagte Detlef Gürth dem „Spiegel“. Sein Fazit: „Jetzt stehen zwei Leute ohne Eier da. Punkt.“

Auch Stahlknecht sind gelegentliche derbe Äußerungen nicht fremd. 2011 lästerte er etwa über das „Eierstockgehabe“ von Parteifreundinnen - ein Spruch, der ihn seither verfolgt, auch wenn er mit Hut und Pfeife, Manschettenknöpfen und geschmackssicher gewählten Einstecktüchern das Bild eines Gentlemans pflegt.

Der langjährige Innenminister strahlt Selbstsicherheit aus. Mit markigen Sprüchen zeigt er, wer der Chef ist. Im Sommer, als aus der Parteibasis immer neue Rufe nach einer Zusammenarbeit mit der AfD kommen, bezeichnet er das als irrelevant. „Ich bin so selbstbewusst zu sagen: Ganz am Ende zählt, was ich entscheide. Auch mit Blick auf Koalitionen“, sagt Stahlknecht im Juni.

Als am vergangenen Freitag Sozialdemokraten und Grüne davor warnen, den öffentlichkeitsliebenden, machtbewussten Gewerkschafter Wendt zum Staatssekretär zu machen, winkt der Minister ab. Wendt werde sich in seine Rolle als Mann im Hintergrund fügen, sagt er. „Ich bin derjenige, der politische Botschaften sendet. Sein Arbeitstag beginnt um acht und endet um 22 Uhr.“ Wenig später dann zeigt Wendt, wer von beiden der erfolgreichere Kommunikator ist. In der „Bild“-Zeitung stellt er die CDU als Umfaller-Partei dar. Sogar die Kanzlerin wird hineingezogen. Ihr Regierungssprecher sieht sich gezwungen, jede Beteiligung des Kanzleramts an der Magdeburger Personalie zu bestreiten.

Was die Lage für Stahlknecht so gefährlich macht: Seinen kernigen Aussagen folgten in letzter Zeit immer öfter Rückzieher. So forderte er im März von der Regierung strikte Haushaltsdisziplin. Steuererhöhungen und ein Anzapfen der Notreserven des Landes werde es nicht geben, beschloss der CDU-Landesvorstand. Im Oktober stimmte Stahlknecht als Minister für das Gegenteil, um einen Tag später erneut die Seite zu wechseln.

Wird Haseloff jetzt auch Parteichef?

Schlicht beiseitegeschoben wurde der CDU-Chef beim Thema Straßenausbaubeiträge. Stahlknecht wollte sie unbedingt erhalten, CDU-Fraktionschef Siegfried Borgwardt gab einen neuen Kurs aus: Die Abschaffung habe höchste Priorität. Vor zwei Wochen kassierte Stahlknecht eine weitere Schlappe, als er im Kabinett forderte, das Volksbegehren für mehr Lehrer nicht zuzulassen. Selbst CDU-Minister sahen das anders. Das Volksbegehren kommt nun.

Stahlknechts Ansehen erodiert. Aus CDU-Kreisen sickern Indiskretionen. Genüsslich wird darauf hingewiesen, dass der Landesverband dieses Jahr mit einem Defizit abschließen wird. Stahlknecht hat sich in der Landesgeschäftsstelle ein eigenes Büro eingerichtet, eine Parteivereinigung musste dafür ausziehen und zahlt nun keine Miete mehr. Büroanschaffungen kosten 6 000 Euro statt 2 000. Für Hintergrundgespräche sind 3 000 Euro geplant, 15 000 Euro für das „Grillen mit Stahlknecht“ (vorher je null Euro). Für Parteitage sind für 2019 exakt 20 000 Euro vorgesehen, 5 000 Euro mehr als im Vorjahr. Früher wurde Gulaschsuppe gereicht, zuletzt stand ein Büfett bereit.

Sollten bei der entscheidenden Sitzung an diesem Freitag Abgeordnete Stahlknechts Rücktritt fordern, könnte es das Ende von dessen Ambitionen bedeuten. Derzeit glühen die Telefondrähte. Ein Szenario sieht so aus: Als Minister könnte Stahlknecht im Amt bleiben, das Amt des Vorsitzenden aber müsste er abtreten. Als Übergangslösung könnte Regierungschef Haseloff übernehmen. Bei diesem dürfte dann die Überzeugung wachsen, dass es ohne ihn nicht geht, dass er nach 2011 und 2016 auch 2021 als Spitzenkandidat antreten muss. Ohnehin haben die Christdemokraten registriert, dass es bei den drei Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen der jeweilige Ministerpräsident war, der den Durchmarsch der AfD verhinderte.

Der Fall Wendt, sagt ein wichtiger Christdemokrat, habe eine Schneelawine ausgelöst. „Wen das am Ende mitreißt, kann niemand sagen.“ (mz)