Wenn Markt und Mobilität kollidieren

Benzin ist ein Brennstoff, so muss es sein. Doch warum ist Benzin nun auch politisch explosiv geworden, wie der Ausbruch massiver Proteste in Ecuador und Chile nahelegt?

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Ricardo Hausmann, ehemaliger Planungsminister Venezuelas und ehemaliger Chefökonom der Interamerikanischen Entwicklungsbank, ist Professor an der Harvard Kennedy School.

Während die Ereignisse in Ecuador auf einen erheblichen Anstieg der Benzinpreise zurückgehen, wurde der Aufstand in Chile durch eine geplante Preiserhöhung von just 3% in der U-Bahn von Santiago ausgelöst. Unabhängig davon, ob eine ausländische Einmischung vorliegt oder nicht, bleibt die Tatsache bestehen, dass die Proteste, wenn nicht sogar die damit einhergehende Gewalt und Zerstörung, eine erhebliche öffentliche Unterstützung gefunden haben.

Das ökonomische Argument gegen Treibstoffsubventionen wirkt wasserdicht: Subventionen sind ineffizient, weil sie zu Konsumvorteilen führen, die weniger wert sind als die daraus entstehenden gesellschaftlichen Kosten. Sie sind umweltschädlich, weil der Benzinverbrauch belastende Auswirkungen hat: nicht nur die globale Erwärmung, sondern auch die lokale Verschmutzung, Staus und Strassenschäden. Wenn überhaupt, sollte Benzin besteuert werden, um diese Kosten zu berücksichtigen. Sie sind zutiefst unfair, denn Wohlhabende verbrauchen mehr Benzin als Arme, was bedeutet, dass sie einen grösseren Teil der Subvention erhalten.

Öffentliche Güter im städtischen Leben

Aber der ökonomische Einwand gegen Subventionen blendet andere Dimensionen des Problems aus, die dem öffentlichen Widerstand gegen das Verändern von Transportkosten Sinn verleihen. Sie anzuerkennen und zu verstehen, ist entscheidend für die Entwicklung besserer politischer Lösungen.

Das Problem mit der üblichen ökonomischen Logik besteht darin, dass sie die Rolle der öffentlichen Güter im städtischen Leben, besonders in der Mobilität, vernachlässigt. Strassen, U-Bahnen, Radwege und Autobahnen haben keine Märkte oder Preise, wie Autos und Wohnungen sie haben. Ebenso wenig wie schöne Aussichten, öffentliche Parks und sichere Quartiere.

Das moderne Leben erfordert die Interaktion mit vielen anderen, sei es durch die Arbeit in grossen Unternehmen oder die Bedienung von Konsumenten. Deshalb ist der Anteil der Menschen, die in städtischen Gebieten leben, weltweit von weniger als 35% im Jahr 1960 auf heute über 55% gestiegen. In Ländern mit hohem Einkommen liegt er über 80%.

Ärmere pendeln länger

Die Möglichkeit, mit anderen zu interagieren, umfasst die Fähigkeit, von dort, wo wir wohnen, dorthin zu wechseln, wo wir arbeiten, einkaufen, lernen und uns treffen. Wie weit wir gehen müssen und wie viel Zeit und Geld dafür benötigt wird, hängt von der geografischen Lage und der Verkehrsinfrastruktur ab. So haben beispielsweise Barcelona und Atlanta eine ähnliche Bevölkerungsgrösse, doch Atlanta braucht mehr als das 26-Fache der Fläche und stösst mehr als das Zehnfache an Kohlendioxid aus. Barcelona bietet viel bessere und billigere öffentliche Verkehrsmittel, und die höhere Bevölkerungsdichte erhöht die Effizienz des Netzes. Auch wenn Tokio bevölkerungsreicher ist als Delhi oder Mexiko-Stadt, sind die Pendelzeiten in Tokio dank einer umfassenderen Stadtplanung und grosser Infrastrukturinvestitionen viel kürzer.

Die Reichen wählen, wo sie wohnen wollen, auch indem sie die Pendelzeiten berücksichtigen, die Immobilienpreise an entsprechenden Orten in die Höhe treiben und die Armen in Randgebiete drängen. Sie fahren auch grosse Autos (oft allein) und belegen so mehr Platz auf den Strassen. Für sie sind die Transportkosten nicht existenziell.

Im Gegensatz leben die Armen, die an weniger gut angebundene Orte verwiesen wurden, mit längeren Pendelzeiten (was für Mütter besonders ins Gewicht fällt) und müssen mehr von ihrem knappen Budget für den Verkehr aufwenden. Wenn die Mobilitätsinfrastruktur schlecht ist, kann das Pendeln in den zentralen Geschäftsbezirk, um dort bessere Beschäftigungsmöglichkeiten zu nutzen, so lästig sein, dass die Menschen in weniger produktiven informellen Aktivitäten in der Nähe ihres einkommensschwachen Viertels gefangen bleiben. Das ist eine Armutsfalle: Weil man arm ist, kann man nicht zu den guten Arbeitsplätzen gelangen, was bedeutet, dass man arm bleibt.

Viel Spielraum in der Preisgestaltung

In einem solchen Kontext würde die Anwendung von Marktpreisen zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage im Verkehrswesen die Armen systematisch von den Vorteilen des städtischen Lebens ausschliessen. Diejenigen mit geringerem Einkommen – sagen wir, Schüler aus armen Familien, die versuchen, zur Schule zu gehen – wären diejenigen, die bei steigenden Preisen nicht mehr reisen würden. Deshalb haben viele U-Bahn-Systeme, einschliesslich desjenigen von Santiago de Chile, Sonderpreise für Studenten. So wie wir keine Auktionen zur Zuteilung von Transplantationsorganen durchführen, sind für das Transportmanagement marktfremde Prinzipien erforderlich.

Das Gleiche gilt für andere wertvolle städtische Einrichtungen. Im Vergleich zu den Leuten in den Vorstädten verbringen die Innenstadtbewohner weniger Zeit in ihren kleineren Wohnungen und dafür mehr Zeit in öffentlichen Gemeinschaftsräumen. Doch der New Yorker Central Park, der Londoner Hyde Park oder der Pariser Bois de Boulogne, die allen kostenlos zur Verfügung stehen, würden bald zu Country Clubs oder geschlossenen Wohnanlagen, wenn sie auf den Markt gebracht würden.

Da der Grossteil der Transportkosten fixiert ist, in dem Sinne, dass sie zum Zeitpunkt des Baus anfallen, haben die Städte viel Spielraum, zu entscheiden, wer sie wann bezahlt. Betrachten wir ein U-Bahn-System: Wie viel von den Kosten sollten zukünftige Generationen, junge, ältere Menschen und die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter übernehmen? Wie viel sollten die Nutzer des Systems zahlen und wie viel diejenigen, die von einer geringeren Verkehrsüberlastung auf den Strassen oder von Immobilienpreisen profitieren, die durch die Nähe zu einem Bahnhof getrieben werden?

Gerechtigkeitsempfinden beachten

Grundsätzlich gilt: Wie viel von der Zuteilung des Raums sollte den Märkten überlassen werden, wo jeder Dollar gleich ist, und wie viel einem Mechanismus, der jeden Bürger gleich behandelt? Wie Michael Sandel, ein Philosoph in Harvard, es sagt: «Je mehr Dinge man für Geld kaufen kann, desto schwieriger ist es, arm zu sein.» Wenn der Zugang zu sicheren Wohngegenden, guten Arbeitsplätzen und öffentlichen Räumen durch Mangel an Geld eingeschränkt ist, werden die Armen die Marktaufteilung eher als ungerecht empfinden.

Nichts davon rechtfertigt Benzinsubventionen. Im Gegenteil: Diese Ressourcen würden viel effizienter und gerechter genutzt, um allen den Zugang zu den Chancen und Freuden des gesellschaftlichen Lebens zu sichern. Aber was die Menschen erwarten und was die Regierungen bereitstellen sollten, sind Vorkehrungen, die die Qualität des gemeinsamen öffentlichen Raums und die Effizienz sowie die Erschwinglichkeit der Mittel zur Fortbewegung darin verbessern.

Copyright: Project Syndicate.

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