Die SPD auf der Suche nach Charisma
Entscheidung über Parteivorsitz
by Barbara KostolnikEs ist der letzte Tag der Stichwahl - am Samstag soll das neue Führungsduo der SPD stehen. Es soll der Partei neues Leben einhauchen. Eine große Aufgabe - zumal in der SPD einer noch immer alles überstrahlt.
Über den größten Charismatiker der Sozialdemokratie gibt es keine zwei Meinungen, nicht einmal die politische Konkurrenz wie CDU-Frau Julia Klöckner stellt in Abrede, dass ein Mann sie alle überstrahlt: "Willy Brandt ist einer der ganz Großen in der deutschen Politik", so Klöckner. "Willy Brandt ist jemand, der der SPD Leben neu eingehaucht hat. Man merkt, dass diese Partei sich nach solchen Personen sehnt."
Willy Brandt hatte diese magische Ausstrahlung, der viele noch heute in der SPD nachtrauern. Gerhard Schröder hatte sie auch. Aber junge Sozialdemokraten wie Felix aus Hamburg wollen lieber nach vorne schauen. Bei alten Größen werde viel verklärt, es sei viel Nostalgie mit dabei. Ihm reiche das Aktuelle schon, er brauche nicht noch den Rückblick.
Aktuell sieht es jedenfalls düster aus: Die Frage nach dem Charisma der um den Vorsitz kämpfenden Akteurinnen und Akteure entlockt Jusos wie Laura aus Brandenburg ein schnarrendes Lachen. Sie hält kurz inne, sammelt sich und sagt dann, sie finde schon, dass beide Teams Charisma haben. Allerdings finde sie auch, dass beide Teams da vielleicht auch noch Luft nach oben hätten. Laura hofft, dass die Teams im Arbeitsprozess einfach auch noch besser werden, um ihre Inhalte voranzubringen.
Morgenmagazin, 29.11.2019, Anja Köhler, ARD Berlin
Authentizität statt Charisma
Überhaupt - und darauf weisen viele Sozialdemokraten hin - ist Charisma ja längst nicht alles. Die bayerische Juso-Vorsitzende Anna Tanzer hält Charisma für überschätzt: "Es ist vielleicht nicht unbedingt Charisma, das zählt, sondern eher Ehrlichkeit und Authentizität." Als Beispiel nennt sie Martin Schulz. Aber auch der wurde letztendlich nicht Bundeskanzler.
Die jungen Sozialdemokraten wie die bayerische Juso-Chefin Tanzer stehen in der aktuellen Vorsitzfrage mehrheitlich auf der Seite von Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken. "Eskabologie" wird der Hype um die beiden genannt - wobei auch "Nowabo" und Esken von außen betrachtet keineswegs Chef-Charismatiker sind.
Aber wer will, kann sogar in Olaf Scholz einen Funken Charisma entdecken: "Olaf Scholz wird einfach ganz oft falsch wahrgenommen", so Tanzer. Er habe eigentlich schon Charisma: "Der ist halt Norddeutscher, Hamburger, das ist halt keiner, der sich schreiend auf die Bühne stellt, wie wir es mit Andrea Nahles hatten. Das war den Leuten wiederum auch zu viel." Andrea Nahles ist nicht am fehlenden Charisma gescheitert.
Langfristhoffnung Kühnert
Meist wird Charisma mit Männern in Verbindung gebracht, wobei auch die Sozialdemokratie Frauen mit dem gewissen Etwas in ihren Reihen weiß. Felix aus Hamburg denkt sofort an Franziska Giffey, "eine Frau, die hoch angesehen ist. Sie hat ein Charisma, das gut in der Bevölkerung ankommt."
Einen gebe es noch, den viele derzeit als die Langfristhoffnung der SPD bezeichnen. Wie ist es um das Charisma von Kevin Kühnert bestellt? Der sonst so eloquente junge Mann windet sich ein bisschen: Er finde es "sehr unangenehm, das einschätzen zu müssen", antwortet Kühnert. "Bisschen was wird da sein, sonst würden nicht regelmäßig Leute kommen und sagen, sie hören ganz gerne zu, aber es ist auch immer eine Geschmackssache mit dem Charisma."
So kann man sich auch aus der Frage herausmanövrieren. Denn über Geschmack lässt sich bekanntlich trefflich streiten.
Barbara Kostolnik, ARD Berlin
29.11.2019 10:30 Uhr