"Der Leuchtturm"

Die Ruhe vor dem Sturm

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Willem Dafoe und Robert Pattinson (v.l.) müssen wochenlang miteinander auskommen - und scheitern.(Foto: Eric Chakeen/A24 Pictures)

Zwei Männer auf einer verlassenen Insel, wochenlang isoliert, ohne Kontakt zur Außenwelt. Das kann nicht gut gehen, denkt der Zuschauer - und er soll recht behalten.

Nach "The Witch" kommt mit "Der Leuchtturm" der zweite Film von Regisseur Robert Eggers in die Kinos. Ähnlich wie in seinem Debüt führt er das Publikum in die Vergangenheit - und zwar in das Neuengland des späten 19. Jahrhunderts. Die Frage, was sich die Zuschauer dort über fast zwei Stunden lang anschauen - einen Psychothriller, einen Horrorfilm oder gar eine tiefschwarze Komödie - ist kaum zu beantworten. Vielleicht ist es auch die Mischung aus allen dreien, die aus "Der Leuchtturm" ein so packendes Filmerlebnis macht.

Zum einen ist da der ältere Tom Wake, ein ehemaliger Seemann, der genau so aussieht, wie man sich einen alten Leuchtturmwärter vorstellt - inklusive dichtem Bart, Holzbein und starkem Alkoholkonsum. An seine Seite stellt Eggers den jungen Gehilfen Ephraim Winslow, der nach seinem Job als Holzfäller in den Wäldern Kanadas noch einmal von vorne anfangen will. Vor den beiden Fremden liegen vier gemeinsame Wochen, in denen sie den Leuchtturm auf einer kleinen, felsigen Insel instandhalten sollen.

Alkohol ist keine Lösung - oder doch?

Anstatt den Jüngeren gleichberechtigt in die Aufgaben eines Leuchtturmwärters einzuweisen, lässt Tom, gespielt von Willem Dafoe, seinen Gehilfen lediglich niedere, körperlich anstrengende Aufgaben erledigen: Ephraim leert die Nachttöpfe, putzt das Haus, schleppt Kohle und kümmert sich um den Wasserspeicher. Tom hingegen beansprucht das Licht hoch oben im Leuchtturm allein für sich. Es dauert nicht lange, bis der eher schweigsame Ephraim, gespielt von Robert Pattinson, die Tyrannei des Älteren nicht mehr hinnehmen will.

Das Einzige, was die Spannung zwischen den beiden Männern zu lösen scheint, ist Alkohol. Nach dem Abendessen, das sie gemeinsam im Schein einer einzelnen Kerze einnehmen, wird angestoßen. Benebelt tanzen sie dann durch ihre kleine Behausung, schreien sich an, liegen sich in den Armen, nur um kurz darauf wie von Sinnen aufeinander einzuprügeln.

Als die vier Wochen vorbei sind, zieht vor der Insel plötzlich ein starker Sturm auf, die lang ersehnte Ablöse kommt nicht - und die anfangs begrenzte gemeinsame Zeit entwickelt sich für Tom und Ephraim zu einer Ewigkeit. Nachdem der Schnapsvorrat aufgebraucht ist, berauschen sie sich am Lampen-Petroleum. Durch ihren ausufernden Machtkampf und Ephraims Halluzinationen spitzt sich die Lage weiter zu.

"Zwei Männer allein in einem riesigen Phallus"

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Regisseur Robert Eggers (M.) mit Dafoe und Pattinson bei der Filmpremiere in Kanada.(Foto: REUTERS)

Für die Dreharbeiten errichtete das Team um Regisseur Robert Eggers einen über 20 Meter hohen Leuchtturm auf Cape Forchu, einer Landspitze in der kanadischen Provinz Nova Scotia. In einem Interview mit dem Online-Magazin "Variety" erzählt Eggers, dass sie für viele der Filmszenen weder Wind- noch Regenmaschinen einsetzten. Teilweise sei der Wind so laut gewesen, dass der Regisseur seine Schauspieler während der Aufnahmen nicht hören konnte.

Gedreht wurde "Der Leuchtturm" in einem altmodischen, fast quadratischen 1,19:1-Seitenverhältnis. Selbst im Kinosaal wird die Enge, die Tom und Ephraim durchgängig umgibt, spürbar. "Wenn man zwei Männer allein in einem riesigen Phallus lässt, kann nichts Gutes passieren", sagt Eggers über das Verhältnis seiner beiden Hauptfiguren.

Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen erinnern an die Anfänge des Tonfilms zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Elemente des Stummfilms fließen in Form von überdeutlichen Gesichtsausdrücken wie weit aufgerissene Augen ein. Doch erst das Schauspiel von Dafoe und Pattinson machen aus "Der Leuchtturm" ein wirkliches Erlebnis. Mit seiner Piratenstimme erzählt er sein Seemannsgarn, blafft Befehle in Richtung seines Gehilfen und ist dabei so unberechenbar, dass dem Zuschauer nichts anderes übrig bleibt, als über diese Dafoe-Show zu staunen.

Wer einen durchschnittlichen Horrorfilm erwartet, bei dem man an den richtigen Stellen im Kinosessel zusammenzuckt, wird von "Der Leuchtturm" enttäuscht werden. Alle anderen bekommen eine besondere Machart gepaart mit Schauspielkunst zu sehen, die das Kino so schon lange nicht mehr gesehen hat.

"Der Leuchtturm" startet am 28. November in den deutschen Kinos.