Analyse zum Eintracht-Sieg in London
Nachts im Museum
by Fabian WeidenhausenEintracht Frankfurt feiert in der Europa League eine kleine Auferstehung, weil Daichi Kamada unglaubliche Dinge macht. Und beim FC Arsenal findet ein Aufbäumen nur noch statt, wenn es gegen den Trainer geht. Eine Analyse in fünf Punkten.
Kamada schießt Eintracht zum Sieg
Eintracht Frankfurt hat das Tor zur Zwischenrunde der Europa League weit aufgestoßen. Dank Doppeltorschütze Daichi Kamada besiegte der Bundesligist den FC Arsenal mit 2:1 (0:1) und steht plötzlich ganz dicht vor dem Einzug in die K.o-Runde.
Stimmung? Gibt's nur vor dem Stadion!
Auch wenn sie offiziell gar nicht da sein durften: Hunderte Fans bereiteten den Spielern der Eintracht am Emirates Stadium im Norden Londons einen feurigen Empfang. Mit Bengalos und Gesängen wollte die Sektion Stadionverbot ihre Frankfurter vor dem Auswärtsspiel beim FC Arsenal heiß machen und sorgte damit für spektakuläre Bilder.
Eintracht-Fans begrüßen Mannschaftsbus
Im Stadion selbst, das mit dem Charme der einstigen Arsenal-Heimstätte Highbury wenig bis gar nichts gemein hat, war die Fan-Unterstützung beiderseitig lange Zeit nicht existent. Das lag vor allem daran, dass die Eintracht-Anhänger dank UEFA-Sperre offiziell gar nicht da sein durften. Und an der Tatsache, dass die Arsenal-Fans auf Europa-League-Donnerstage in etwa so viel Lust haben wie der Ottonormalbürger auf eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt. Manch einer vergleicht das Emirates mangels Stimmung gern mit einer Oper. Eintracht-Vorstand Axel Hellmann fand eine ebenso treffende Metapher: "Wie im Senckenberg-Museum" sei es vor der Pause gewesen.
Eine Halbzeit zum Einpennen
Als Zuschauer ist man geneigt zu sagen: Nur dass es im Senckenberg-Museum nicht so langweilig ist wie am Donnerstagabend lange Zeit im Emirates. Im Museum gibt's wenigstens Dinosaurier-Knochen! Die erste Hälfte des Europacup-Spiels hatte da nicht so viel zu bieten. Ein angeschlagenes Arsenal B gegen eine taumelnde Frankfurter Eintracht führte zu gähnend langweiligen ersten 45 Minuten.
"Frederik Rönnow war der einzige in Normalform in der ersten Halbzeit", sagte Verteidiger Martin Hinteregger. Der Schlussmann bewahrte die nach drei Niederlagen wie paralysiert auftretenden Hessen mehrfach vor einem hochverdienten Rückstand. Beim Treffer des einzigen Weltklasse-Spielers, den die Gunners derzeit noch in ihren Reihen haben, war auch Rönnow machtlos: Pierre-Emerick Aubameyang erzielte kurz vor dem Pausenpfiff das 1:0 (45.+1).
Hütter belebt die Eintracht zur Pause
Es war nur logisch, dass Adi Hütter seine Mannschaft vor dem zweiten Durchgang umstellte. Irgendwas musste der Eintracht-Trainer ändern. Für Gelson Fernandes kam positionsgetreu Dominik Kohr, und Mijat Gacinovic stärkte das zentrale Mittelfeld nach seiner Hereinnahme für den am Donnerstag unsichtbaren Angreifer André Silva.
"Die beiden Wechsel waren sehr mutig vom Trainer", lobte Teamplayer Fernandes hinterher. Und dieser Mut, wenn man es denn so nennen will, zahlte sich aus. Die Frankfurter nahmen nun immerhin am Spiel teil. Und sorgten dann in Person von Daichi Kamada dafür, dass einige der angeblich anwesenden 30.000 Zuschauer aus dem Tiefschlaf erwachten.
Kamadas Klebe ist die Entdeckung des Abends
Der Japaner genießt zwar den Ruf, technisch hochwertigen und durchaus ansehnlichen Fußball zu spielen, das Toreschießen zählte bislang aber nicht zu Kamadas Kernkompetenzen. Davon zeugte ein bis dato erzieltes Pflichtspieltor in dieser Saison – beim 5:3 im Pokal bei Waldhof Mannheim.
Umso verwunderlicher war es, wie Kamada das Spiel gegen Arsenal drehte: nämlich mit zwei tollen Schüssen aus der Distanz. Vom Dribbling vor dem zwischenzeitlichen Ausgleich mal ganz zu schweigen (55.). "Der Junge hat so viel Qualität", schwärmte Sportvorstand Fredi Bobic nachher, "das ist ein Wahnsinn." Kamadas Klebe war zweifellos die Neuentdeckung des Abends.
Breaking: Emirates Stadium ist doch kein Museum!
Mit großem Selbstvertrauen waren beide Teams wie bereits erwähnt im Vorfeld des Spiels nicht gesegnet. Wie fragil das Gebilde Arsenal London derzeit aber ist, zeigte sich nach Kamadas Treffer zum 2:1 (64.). Ein Aufbäumen? Gab es nur auf der Tribüne, wo Fans aufsprangen und ihre mitgebrachten "Emery Out!"-Schilder in den Abendhimmel stemmten. Auf dem Rasen präsentierten sich die Erben der Invincibles derweil als die neuen Invisibles.
Während die Frankfurter also nach Niko Kovac den nächsten Trainer absägten - Emery wurde am Freitag gefeuert - sorgten sie nebenbei für eine gute Ausgangsposition in Gruppe F. Als Zweiter haben die Hessen das Weiterkommen nun wieder in der eigenen Hand. Ein Sieg im Heimspiel gegen Guimaraes am 12. Dezember, und die Eintracht überwintert in der Europa League.
Am Ende war sogar Stimmung im Stadion. Das lag an den hunderten "Schläfern", die sich inkognito durch die Kontrollen geschlichen und bis zur Schlussviertelstunde des Spiels wohl durchgehend auf die Zunge gebissen hatten, um sich nicht als Frankfurt-Fans erkennen zu geben. Als die Eintracht-Wechselgesänge durchs Rund schallten, muss auch dem letzten TV-Zuschauer und Eintracht-Boss Hellmann klar geworden sein: Das ist hier gar kein Museum!