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„How dare you“ prangt auf der Wange dieser Fridays-for-Future-Demonstrantin, ein Halbsatz, den Klima-Ikone Greta Thunberg den Vereinten Nationen entgegen schleuderte.© imago images
Fridays for Future

Trotz aller Ambitionen steigt der CO2-Ausstoß

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Fridays for Future ruft erneut zum Protest auf. Nur eine radikale Kurskorrektur kann die Erwärmung noch bremsen - doch die Staaten zeigen wenig Bereitschaft zum Handeln.

Es klang ziemlich verzweifelt: Der Chef der Welt-Meteorologie-Behörde, Petteri Taalas, gab kürzlich in Genf die Daten zum globalen CO2-Ausstoß für 2018 bekannt. Der Wissenschaftler hatte keine gute Nachricht zu verkünden. Jedes Jahr bringe einen neuen Rekord bei den Emissionen, trotz aller Klimaschutz-Versprechen der Länder im Pariser Weltklima-Vertrag, sagte der Finne. Und mahnte: „Wir müssen die Versprechen endlich in Taten übersetzen.“ Der Termin war mit Bedacht gewählt – in der Woche vor dem turnusmäßigen UN-Klimagipfel, der am Montag in Madrid beginnt.

Tatsächlich gab es im vergangenen Jahr wieder einen neuen Spitzenwert bei den Treibhausgasen. Die CO2-Konzentration ist auf 407,8 ppm (Teile pro Million Teile Luft) gestiegen, 2017 waren es 405,5 ppm. Der Wert liegt damit um rund 45 Prozent über dem Niveau der vorindustriellen Zeit von 280 ppm.

Fridays for Futur - Protest gegen globale Ignoranz

Doch damit nicht genug: Die Zunahme war sogar höher als im Schnitt der vergangenen zehn Jahre. Heißt: Von Klimaschutz keine Spur. Oder wie es Taalas ausdrückte: „Es gibt keinen Hinweis auf eine Verlangsamung des Langzeittrends, geschweige denn einen Rückgang.“ Das ist in der Tat dramatisch. Denn 430 bis 480 ppm gelten als Obergrenze, wenn die Erderwärmung bei zwei Grad gestoppt werden soll. Für die eigentlich wünschenswerten 1,5 Grad liegt sie noch niedriger.

Auch das UN-Umweltprogramm UNEP kommt in seiner aktuellen Analyse, dem „Emissions Gap Report“, zu ernüchternden Ergebnissen. Die Behörde untersucht darin, wie stark die Staaten der Erde ihren Treibhausgas-Ausstoß gegenüber ihren aktuellen Plänen herunterfahren müssen, um das Zwei-Grad-Limit zu halten, wie sie es im 2015 geschlossenen Paris-Vertrag versprochen haben. Da die Emissionen um zwei Prozent gestiegen sind, vergrößert sich die Lücke, die zu schließen ist, um auf das verträgliche Niveau zu kommen.

Klimawandel - radikale Kurskorrektur nötig

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Derzeit pustet die Weltgemeinschaft pro Jahr rund 55,3 Milliarden Tonnen Treibhausgase – CO2, Methan und Lachgas, umgerechnet in CO2-Äquivalente – in die Atmosphäre. Ohne Trendwende sind laut UNEP 2030 rund 60 Milliarden zu erwarten. In diesem Jahr dürften es für das Zwei-Grad-Ziel nur noch 40 Milliarden Tonnen sein. Und für eine Erwärmung von 1,5 Grad sogar nur 23 Milliarden.

Anders gerechnet: Um das 1,5-Grad-Limit zu halten, müsste der Treibhausgas-Ausstoß ab sofort jährlich um 7,6 Prozent sinken – während er tatsächlich steigt und steigt. Die 1,5 Grad gelten als eine Art Sicherheitsnetz. Nur wenn diese Marke eingehalten wird, stehen die Chancen gut, dass bestimmte Kippelemente des Weltklimas nicht ausgelöst werden – wie das Abschmelzen des Grönland-Eisschilds oder das Austrocknen des Amazonas-Regenwaldes.

Die neuen Zahlen zeigen: Ohne eine radikale Kurskorrektur ist das nicht zu schaffen. Seit etwa 1850 bis heute hat sich das Weltklima im Schnitt um rund ein Grad erwärmt. Bleibt alles wie bisher, wird das 1,5-Grad-Limit laut dem Forschungsprojekt „Climate Action Tracker“ bereits um 2035 überschritten werden, das Zwei-Grad-Limit etwa 2053.

Schlimmste Einheizer: China und die USA

Die neue UNEP-Chefin Inger Andersen kommentierte: „Unser kollektives Versagen, frühzeitig und entschlossen zu handeln, führt dazu, dass wir jetzt viel tiefere Einschnitte bei den Emissionen vornehmen müssen.“ Tatsächlich hat die Weltgemeinschaft über ein Vierteljahrhundert mit ineffektiver Klimapolitik zugebracht. Schließlich hatte sie bereits auf dem UN-Gipfel 1992 in Rio de Janeiro die Weltklimakonvention verabschiedet, die von allen Staaten Schritte fordert, die eine „gefährliche“ Störung des Klimasystems verhindern. Damals betrug der gesamte Treibhausgas-Ausstoß pro Jahr erst rund 38 Milliarden Tonnen. Heute liegt er rund 45 Prozent höher. Die energiebedingten Emissionen stiegen sogar um über 70 Prozent

Von 2014 bis 2016 sah es so aus, als hätte der globale CO2- Ausstoß seinen Höhepunkt bereits erreicht und als könnte nun der erhoffte Abstieg kommen. Die Emissionen stiegen kaum mehr – vor allem, weil China, das alleine rund die Hälfte der Kohle weltweit nutzt, weniger von diesem besonders CO2-intensiven Energierohstoff verbrannte. Doch als 2017 die Wachstumsraten der Weltwirtschaft wieder nach oben gingen, war die Hoffnung dahin.

Klimaziele der Industrieländer nicht noch genug

Erschwerend kommt hinzu, dass auch die USA, nach China der zweitgrößte globale Einheizer, ihre Emissionen, die etwa seit 2005 gesunken waren, unter Präsident Donald Trump zuletzt wieder gesteigert haben. Dass die EU, verantwortlich für rund zehn Prozent der globalen Emissionen, klimapolitisch einigermaßen im Plan ist, reißt die Sache nicht heraus.

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Die UNEP-Klimaexperten sagen voraus, dass die Weltgemeinschaft das 1,5- bis Zwei-Grad-Ziel weit verfehlen wird, wenn die Staaten ihre CO2-Ziele nicht nachschärfen. Setzen sie nur ihre bisherigen Pläne um, steigt die Temperatur bis 2100 laut Gap-Report um voraussichtlich 3,2 Grad. Schaffen sie selbst das nicht, drohen sogar bis zu 3,9 Grad. Das wäre eine katastrophale Entwicklung.

Dass ihre Ambitionen nicht reichen, wissen die Regierenden dieser Welt. Deswegen sieht der Paris-Vertrag vor, die CO2-Ziele alle fünf Jahre zu überprüfen und zu verschärfen. Erstmals soll das 2020 umgesetzt werden. Das wollen die Staaten in Madrid vorbereiten. So muss unter anderem das „Regelbuch“ für die Anwendung des Vertrags fertiggestellt werden. Konkret geht es hier um die Richtlinien zum internationalen Handel mit CO2-Zertifikaten. Nur wenn klar ist, ob und wie zum Beispiel Industriestaaten ihre Klimaziele auch durch Kauf dieser „Verschmutzungslizenzen“ in Entwicklungsländern erfüllen können, werden viele Staaten ihre ambitionierteren CO2-Pläne ausarbeiten, die dann vor dem übernächsten Gipfel im britischen Glasgow Ende 2020 eingereicht werden sollen.

Ansonsten geht es in Madrid unter anderem auch darum, wie die Weltgemeinschaft mit Verlusten und Schäden („loss and damage“) umgehen wird, die nicht mehr zu verhindern sind – und gerade Entwicklungsländer auch ökonomisch schwer treffen können.

Beim Klima-Sondergipfel, zu dem UN-Generalsekretär Antonio Guterres im September die Staats- und Regierungschefs eingeladen hatte, versprachen rund 70 der 197 Vertragsstaaten, ambitionierte Pläne mit Zieljahr 2030 fristgerecht vor Glasgow vorzulegen. Große Hoffnungen liegen dabei auf China und Europa. Peking könnte seinen CO2-Höhepunkt von 2030 vorziehen, und die EU diskutiert darüber, ob sie ihr bisheriges Ziel von minus 40 Prozent CO2 gegenüber dem Jahr 1990 auf 50 oder 55 Prozent verschärft.

Weltkarte der Klimaziele

Diese Karte ist eine Analyse zu den eigenen Klimazielen der Staaten. Klimaforscher um den Wissenschaftler Sir Robert Watson haben die Selbstverpflichtungen zur Emissionsreduktion geprüft. Berücksichtigt wurden 184 Unterzeichner des Pariser Klima-Abkommens – und die Frage wie sie die Treibhausgas-Emissionen bis 2030 senken wollen. Das Ziel ist die Reduktion der Abgasmenge um die Hälfte gegenüber dem Stand von 1990. Nur so kann die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad begrenzt werden.

Die Analyse zeigt: Fast drei Viertel der Zusagen sind nicht ehrgeizig genug. Grün markiert sind Länder, die sich vorgenommen haben, ihre Emissionen bis 2030 um 40 Prozent oder mehr zu senken – diese Ziele sind weitgehend im Einklang mit dem Pariser Abkommen. Gelb entspricht einem Reduktionsziel von 20 bis 40 Prozent, was nach Ansicht der Forscher nur teilweise ausreicht.

Orange und rot markiert sind Länder, deren Zusagen größtenteils beziehungsweise völlig unzureichend sind. Dazu zählen Staaten, die ihre Emissionen um weniger als 20 Prozent reduzieren wollen oder ihre Ziele nicht ganz aus eigener Kraft erreichen können (orange). Andere Staaten haben zwar eine Reduktion zugesagt, aber keine Zahl genannt, oder sind bei ihren Verpflichtungen zum Großteil auf die Unterstützung anderer Länder angewiesen (rot). Dunkelgrau markiert sind die Länder, die bislang überhaupt keine Zusagen gemacht haben.

Eine alternative Übersicht bietet eine Untersuchung des Thinktanks „Climate Action Tracker“, der nicht nur die Ziele, sondern die tatsächlichen Schritte zur Reduktion analysiert – allerdings nur für 31 Länder. Abrufbar ist sie unter www.climateactiontracker.org thh