Diplomatie

Das deutsch-französische Verhältnis ist ein Scherbenhaufen

by

Berlin.  Nato, Europa, Russland: Die beiden Regierungen in Paris und Berlin liegen in wichtigen Fragen so weit auseinander wie selten zuvor.

„Hirntod“. Das düstere Urteil von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron über den Zustand der Nato hallt in Berlin noch immer nach. Macrons Blitzanalyse, dass die Beistandspflicht der Allianz infrage stehe, dass die USA und die Türkei unsichere Kantonisten seien und dass Europa politisch, militärisch und wirtschaftlich eine Weltmacht werden müsse, hat die Bundesregierung aufgeschreckt.

Kein Tag vergeht, an dem nicht Spitzenpolitiker Position gegen Macrons Vorstoß beziehen. „Europa kann sich zurzeit alleine nicht verteidigen. Wir sind auf dieses transatlantische Bündnis angewiesen“, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag.

„Gedankenspiele über die Entkoppelung amerikanischer und europäischer Sicherheit machen mir Sorgen“, warnt Außenminister Heiko Maas (SPD) am Mittwoch. Seit dem verbalen Keulenschlag des frischgewählten US-Präsidenten Donald Trump, der die Nato als „obsolet“ bezeichnet hatte, war man in Berlin nicht mehr so nervös wie in diesen Tagen.

Es sind vor allem die schrille Begrifflichkeit und der disruptive Stil, die verstören. Die „Hirntod“-Äußerung des Franzosen sei völlig unvermittelt und ohne Ankündigung gekommen, klagt man im Außenministerium. „Macrons Grundansatz in der Außenpolitik ist intellektueller Trumpismus“, kritisiert ein hochrangiges Mitglied der Bundesregierung.

Die Botschaft: Frankreichs Präsident gehe zwar nicht so grobschlächtig vor wie sein amerikanischer Amtskollege. Doch auch Macron liebe den Parforceritt gegen den Konsens. Im Élysée-Palast verteidigt man hingegen die offensive Linie: „Macron ist unverblümt, aber authentisch. Er will aufrütteln. Andernfalls bewegt sich nichts“, sagt ein Kabinettsmitglied.

Wortwechsel zwischen Merkel und Macron

Die renommierte „New York Times“ berichtete sogar von einem heftigen Wortwechsel zwischen Merkel und Macron. Beim Abendessen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 10. November sei die Bundeskanzlerin den Präsidenten direkt angegangen. „Ich bin es leid, die Scherben aufzukehren. Immer wieder muss ich die Tassen zusammenkleben, die Sie zerbrochen haben – nur, damit wir wieder beisammensitzen und eine Tasse Tee trinken können“, so das mutmaßliche Lamento Merkels. Ihr Regierungssprecher Steffen Seibert versuchte den angeblichen Knatsch elegant auszuräumen. Ein knallhartes Dementi war es aber nicht.

Es ist das vorläufige Ende einer – von Macron – euphorisch begonnenen Beziehung. Sein erster Auslandsbesuch nach seiner Wahl im Mai 2017 führte ihn nach Berlin. Er hatte große Erwartungen für einen Kickstart Europas. Merkel begrüßte den Gast mit einem Zitat von Hermann Hesse: „Allem Anfang wohnt ein Zauber inne.“

Doch schob sie gleich hinterher, am Ende werde man an Resultaten gemessen. Skeptiker erkannten schon damals eine leichte Distanzierung der nüchternen Kanzlerin von Europas neuem Chefdynamiker aus Paris.

„Macron hatte viele Hoffnungen in die deutsch-französische Zusammenarbeit gesteckt. Diese wurden enttäuscht“, sagte Claire Demesmay von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) unserer Redaktion. „Er macht seiner Ungeduld nun offen Luft – und Bundeskanzlerin Merkel reagiert dementsprechend.“

Die Beziehungen sind ein Scherbenhaufen

Der aktuelle Scherbenhaufen in den deutsch-französischen Beziehungen macht sich neben dem Nato-Thema an folgenden Punkten fest:

Europa: Macron wollte von Anfang an eine tiefere Integration der Eurozone. Seine Vision: Mit einem Budget in dreistelliger Milliardenhöhe wollte er öffentliche Investitionen ankurbeln. Bereits in seiner Rede an der Berliner Humboldt-Universität im Februar 2017 forderte Macron ein politisches und wirtschaftliches Kerneuropa mit der „Avantgarde aus Frankreich und Deutschland“. Das lange Schweigen Merkels frustrierte den Franzosen und befeuerte seine Lust auf den schnellen Vorstoß. Die Kanzlerin agiert für ihn zu langsam. Ihren Ansatz, die Europäische Union der bald nur noch 27 zusammenzuhalten, hält er für falsch.

EU-Osterweiterung: Die Blockade von Nordmazedonien und Albanien als Neu-Mitglieder der EU liegt in der Logik Macrons. Merkel will hingegen reformfähige Länder aufnehmen, um die nicht in die Arme Russlands, Chinas oder der Türkei zu treiben.

Russland: Für Macron ist Russland „Nachbar“ und „Partner“, der „zu Europa gehört“. Der Franzose will Moskau aus einer strategischen Allianz mit Peking herauslösen. „Macron befürchtet den Beginn einer bipolaren Welt mit den Hauptakteuren USA und China. Er will Europa weltpolitikfähig machen und strebt daher eine bessere Zusammenarbeit mit Russland an“, bilanziert Claire Demesmay von der DGAP. Diese Vision werde in Deutschland nicht geteilt. Im Gegenteil. Merkel, die die Annexion der Krim immer wieder gerügt hat, traut Putin nicht über den Weg.